Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)
als gälte es jede Spur ihrer Reise zu tilgen. Der Anrufbeantworter blinkte. Sie würde sich später darum kümmern. Zuerst eine Dusche. Der Kühlschrank war leer, sie mußte einkaufen. Sie war im Begriff zu gehen, als es an der Tür klingelte. Bloß nicht schon wieder Leona.
Mathilde öffnete. Vor ihr stand Lukas Feller. Ihr Mann.
Mathilde starrte ihn an.
»Bist du geflohen?« flüsterte sie.
»Nein.«
Er warf seinen Rucksack in den Flur, zog sie an sich und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. So hielt er sie eine ganze Weile. Zumindest kam es Mathilde wie eine ganze Weile vor. Seine Bartstoppeln kratzten, und auch in olfaktorischer Hinsicht war die Umarmung kein Genuß. Dann ließ er sie los.
Oft hatte sie sich vorgestellt, wie es sein würde, wenn er – eines Tages – entlassen würde. In den wildesten Farben der Leidenschaft hatte sie sich diese Szene ausgemalt. Noch letzte Nacht, als sie in das Hotelkopfkissen gebissen hatte, hätte sie Gottweißwas darum gegeben, sich in seine Arme zu werfen. Aber nun … Er sah aus wie ein Landstreicher und roch auch so.
»Weißt du, was ich jetzt ganz dringend brauche?«
Das konnte sich Mathilde denken.
»Ein Bad«, sagte er. »Ich hoffe, du hast eine Badewanne.«
Zweiter Teil
I
Seit einer Dreiviertelstunde hielt sich Lukas im Bad auf. Mathilde klopfte an die Tür.
»Lukas?«
»Warum kommst du nicht rein?«
Sie spähte durch den Türschlitz. Der Raum stand unter Dampf, und es duftete nach Mandarinen. »Ich will einkaufen …«
Es plätscherte, und durch den Dunst hörte sie ihn sagen: »Kannst du mir vernünftiges Rasierzeug mitbringen?«
Mathilde raffte Handtasche, Korb und Schlüssel zusammen und eilte hinaus, als sei sie auf der Flucht.
Ratlos schob sie den Einkaufswagen durch die Regalreihen der Kaufhof-Lebensmittelabteilung. Sie wollte ihm etwas Besonderes bieten. Aber was? Nach seinem Lieblingsgericht hatte sie ihn nie gefragt. Sie strandete vor der Fleischtheke. Argentinisches Rind, Strauß, Känguruh, Krokodil. Dekadenz ist schon dem römischen Imperium zum Verhängnis geworden, dachte Mathilde. Er ist doch kein Vegetarier? Nein, wer Schafe schlachtet, ißt wohl auch Fleisch. Sie häufte planlos Lebensmittel in den Wagen. Man konnte später immer noch improvisieren. Champagner war auf keinen Fall verkehrt. Aber vielleicht mochte er lieber Bier? Nur, welches?
Sie bezahlte hundertachtzig Euro und mußte flüchtig daran denken, daß der Verpflegungssatz pro Häftling und Tag zwei Euro elf betrug für alle drei Mahlzeiten.
Als sie mit dem Wagen aus der Tiefgarage auftauchte, stellte sie sich vor, wie er jetzt vermutlich gerade in ihrer Wohnung herumging und alles betrachtete. Welches Bild würde er dabei von ihr bekommen? Von einer Frau mit fünfundneunzig Hüten?
Sie passierte das Rotlichtviertel, in dem am frühen Abend noch kein Betrieb herrschte. Es war die falsche Richtung, sie hätte vorhin rechts abbiegen müssen. Sie nahm es als ein Zeichen, setzte den Blinker und fuhr in Richtung Ricklingen.
Lukas stieg aus der Wanne und trocknete sich mit einem flauschigen Handtuch ab. Das Bad war ganz in Weiß gehalten, und obwohl es einer Frau gehörte, stand bemerkenswert wenig herum. Er ging in den Flur, nahm eine Tüte aus seinem Rucksack und entfernte die Schildchen von den neuen Textilien. Die Sachen, die er im Gefängnis getragen hatte, wollte er nie mehr anziehen. Er betrachtete die goldene Rolex, die sie ihm nach achteinhalb Jahren wiedergegeben hatten. Damals waren solche Uhren angesagt gewesen, und er mochte sie immer noch, auch wenn sie ihm heute etwas protzig erschien.
Die Jeans war noch steif und das T-Shirt zu weit, dennoch fühlte er sich wohl in den neuen Sachen. Barfuß, denn an Socken hatte er nicht gedacht, ging er von Zimmer zu Zimmer. Neben dem Bad befand sich ein kleiner Raum, der wohl als Gästezimmer und Abstellkammer für Sperriges diente. Ein Korb mit zerknitterter Wäsche stand auf dem Bett.
Als nächstes entdeckte er einen leeren Raum mit einem großen Spiegel an der langen Wand. Vier blaue Matten, wie er sie aus Turnhallen kannte, lagen auf dem Boden, daneben Hanteln in unterschiedlichen Größen. An einem Haken hingen Gummibänder und ein Springseil. Sehr nützlich, dieser Raum, befand Lukas zufrieden. Die Küche war klein, aber gut ausgestattet. Kühl blitzte die Edelstahlspüle, kein Krümel war auf der Ablage zu finden. Auf einem Tisch, der exakt in die Fensternische eingepaßt war, lag wie ein einsamer Farbtupfer
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