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Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)

Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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paar Reißzwecken mit Fetzen von Postern steckten in der Wand. Der Boden bestand aus braunem Linoleum, das sich an den Nähten aufbog. Darauf stand ein einfaches Bett aus Nußbaumfurnier mit einem Bettkasten. Von der Decke hing ein lederner Sack, wie er beim Boxtraining benutzt wird.
    Es sah nicht so aus, als bewohnte Lukas dieses Haus. Warum hatte er sie dann gebeten, seine Sachen hierherzubringen? Weil er vermutlich bei irgendeiner Frau untergekrochen ist und nicht will, daß ich davon erfahre, mutmaßte Mathilde. Als ob mir das inzwischen nicht egal wäre.
    Sie inspizierte das Bücherregal. Abenteuerromane, Geschichten von Edgar Alan Poe, Biographien großer Feldherren, Bücher über das alte Rom und das Mittelalter, über Kriege, Schlachten, die Inquisition, Dr. Jekyll und Mr. Hyde , Das Parfum, Die hundertzwanzig Tage von Sodom . Letzteres trug deutliche Gebrauchsspuren. Mathilde nahm es aus dem Regal und blätterte darin. Es war reich an Radierungen, die die Phantasien de Sades illustrierten. Als sie eine weitere Seite umschlug, fiel ihr ein Foto vor die Füße.
    Es war farbig und hatte, wie viele alte Farbfotos, einen Stich ins Rötliche. Darauf war ein Mädchen zwischen zwölf und vierzehn Jahren. Ihr Körper erinnerte an die ausgemergelten Frauenakte von Egon Schiele. Vom grellen Sonnenlicht erbarmungslos ausgeleuchtet lag sie mit weit von sich gestreckten Armen und Beinen nackt auf einer roten Unterlage. Nein, das war keine Nacktheit, sondern eine verletzende Blöße. Hier war kein Individuum abgebildet, sondern ein zum Anschauungsobjekt reduziertes Stück Materie. Die Perspektive war so gewählt, daß der erste Blick des Betrachters fast automatisch den Intimbereich fokussierte. Ihr Gesichtsausdruck war schwer zu deuten. War das Angst, Lust? Nein, ihr Blick war einfach nur leer, fand Mathilde, die angestrengt überlegte, wo sie diese Gesichtszüge schon einmal gesehen hatte:diese hohen Wangenknochen, die kleine, kecke Nase, die leicht aufgeworfene Oberlippe. Die Haarfarbe war nicht zu bestimmen, weil das Haar naß war. Dennoch erkannte Mathilde schließlich die Frau auf dem Foto: Es war die Psychologin. Das mußte sie sein, als Jugendliche.
    Mathilde war, als hätte sie unten ein Geräusch gehört. Sie steckte das Foto in ihre Handtasche, zwischen die Seiten ihres Notizkalenders, und sah auf die Uhr. Es war fünf nach zehn. Sie stieg die Treppe hinunter. Doch niemand war da. Sie schaute durch das Küchenfenster auf die Straße hinaus. Nichts regte sich. Unschlüssig verharrte sie im Flur. Wo blieb er? Sie kramte in ihrer Tasche nach dem Mobiltelefon und stellte fest, daß sie es im Wagen gelassen haben mußte. Dort lag es meistens, im Handschuhfach. Ich gebe dir noch fünf Minuten, dann gehe ich, beschloß Mathilde verärgert.
    Erst jetzt bemerkte sie die Tür neben dem Eingang zur Küche, eine Stahltür, wie sie der Brandschutz für Heizungsräume vorschreibt. Mathilde öffnete sie. Vor ihr lag die Treppe, die sie aus Lukas’ Erzählungen kannte. Sie drehte den Lichtschalter um, und es klickte, bevor eine Kellerleuchte ihren matten Schein spendete. Lukas hatte nicht gelogen, die Betontreppe war steil. Mathilde zählte zwanzig Stufen, die sie nun hinabstieg, vorsichtig, denn die rechte Treppenseite war zum Kellerraum hin offen, und es gab kein Geländer. Die Luft war stickig.
    Unten angekommen mußte sie ihren Hut abnehmen, um aufrecht stehen zu können. Sie sah sich um, erspähte ein Regal mit Marmeladengläsern und Flaschen, dem Anschein nach Schnaps oder Likör, ein leeres Holzgitter für Kartoffeln, ein Regal mit alten Damenschuhen und Stiefeln. Am Fuß der Treppe waren Bohrlöcher in der Wand, und sie erkannte die abgesägten Stummel einer Leitung, wo vermutlich einmal ein Gasbrenner gehangen hatte. Hatte hier, wo sie nun stand, Lukas’ Vater seinen letzten Atemzug getan? Was hatte sie erwartet? Einen Blutflecken? Einen Geist? Was tust du eigentlich hier, fragte sich Mathilde und entfernte angeekelt ein paar Spinnweben, die sich wie ein Schleier über ihr Haar gelegt hatten. Dann ging das Licht aus.
    Bestimmt hatte der Lichtschalter eine Zeitautomatik. Im schwachen Schein, der durch die offene Kellertür in den kleinen Raum fiel, suchte Mathilde nach dem unteren Lichtschalter. Sie fand keinen. Am falschen Fleck gespart, dachte sie. Der Lichtschein wurde schwächer, ehe es mit einemmal stockdunkel war. Die Tür mußte zugefallen sein. Zugefallen? Sie hatte keinen Knall gehört. Mit ausgestreckten

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