Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)

Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
Vom Netzwerk:
Armen durchquerte sie den Kellerraum, bis ihr Fuß gegen die Kellertreppe stieß. Mehr kriechend als gehend bewegte sie sich nach oben. Sie war wütend auf sich selbst. Das Kostüm war jetzt sicher ein Fall für die Reinigung. Noch schlimmer: Lukas, wenn er denn endlich auftauchte, würde sofort kombinieren, daß sie im Keller und – so würde er richtig schlußfolgern – im ganzen Haus herumgeschnüffelt hatte.
    Endlich fand sie die Tür. Sie richtete sich auf und tastete nach der Klinke. Zum Teufel, sie mußte doch hier sein, auf der linken Seite. Dann eben zuerst den Lichtschalter. Es war ein schwarzer Bakelitschalter, er war auf Augenhöhe an der Wand angebracht, erinnerte sie sich. Endlich fand sie ihn und drehte ihn um, wie sie es vorhin gemacht hatte. Es blieb dunkel. Noch ein Versuch, und noch einer, probeweise in die andere Richtung. Kein Licht. War es vielleicht der falsche Schalter? Nein, es gab nur diesen einen. Hektisch fuhren ihre Hände über die Stahltür und entdeckten etwas, das sich wie ein großes Schlüsselloch anfühlte. Na also, dann mußte sich doch darüber die Klinke befinden. Weitere Sekunden vergingen, ehe Mathilde begriff, daß in dieses Loch die Türklinke gehörte. Doch die Klinke fehlte, die Tür war zu und, soweit sie vorhin die Lage erfaßt hatte, gab es hier auch kein Fenster.

3
     
    Treeske hatte nicht in diese langweilige Siedlung ziehen wollen, aber für ihre Eltern markierte das kleine Reihenhaus einen sozialen Aufstieg. Vom Fenster ihres neuen Zimmers aus sah sie über die Straße, auf Fellers Vorgarten und in Lukas’ Zimmer im oberen Stock, das dem ihren fast genau gegenüberlag. Stundenlang konnte sie auf der Fensterbank sitzen und katzengeduldig warten, nur um ihn zu beobachten, wenn er in seinem Zimmer den Boxsack mit den Fäusten bearbeitete. Wenn sie glaubte, daß er zu ihr herüberschaute, winkte sie ihm zu. Er winkte nie zurück, aber sie war sicher, daß er manchmal absichtlich die Gardine offenließ und das Licht einschaltete, damit sie ihn sehen konnte. Wenn er morgens mit dem Rad zum Bahnhof fuhr, radelte sie ihm hinterher. Er hängte sie meistens ab, aber am nächsten Morgen folgte sie ihm wieder, wie ein Straßenköter. Jeden Tag hielt sie ein Stückchen länger mit. Irgendwann gewöhnte er sich daran und fuhr langsamer.
    »Wie alt bist du?« fragte er eines Morgens, als sie vor einer roten Ampel standen. Es waren die ersten Worte, die er an sie richtete.
    »Vierzehn.«
    »Du lügst«, stellte er fest.
    Im Februar 1981 kaufte er eine blaue Ente. Treeske fuhr von da an nicht mehr mit dem Rad, denn manchmal, wenn er sie zur Bushaltestelle gehen sah, ließ er sie einsteigen und brachte sie zur Schule. Im Schneidersitz saß sie dann neben ihm und fühlte sich ziemlich erwachsen.
    »Du könntest mich mal mit nach Hannover nehmen.«
    »Könnte ich. Will ich aber nicht.«
    An einem warmen Tag im April fuhr er ohne Vorankündigung an der Schule vorbei und aus der Stadt hinaus. Es ging über Feldwege, und schließlich hielten sie an einem winzigen See. Er breitete eine rote Decke am Ufer aus. Stumm lagen sie nebeneinander in der Sonne, im Kassettenrekorder lief The Wall . Treeske zog mit einer, wie sie glaubte, beiläufigen Geste ihr Kleid aus. Lukas schien eingeschlafen zu sein. Treeske piesackte ihn mit einem Grashalm. Er rollte sich auf die Seite, musterte sie, dann wog er ihre Brüste, als gälte es, Obst am Marktstand zu prüfen.
    »Naja«, sagte er und ließ sich wieder auf die Decke zurücksinken. Treeske wartete. Lukas starrte in die Wolken. Als weiter nichts geschah, legte sie ihre Hand auf seine Brust, strich über seinen Nabel, öffnete Zentimeter für Zentimeter den Reißverschluß seiner Jeans und ertastete sein Geschlecht. Ein warmer Stein, der sich nach ihrer Hand streckte. Unter der dünnen Haut fühlte sie seinen Puls. Sie fand es abschreckend und unheimlich, aber zugleich auch verlockend. Lukas ließ sie ein paar Minuten lang gewähren. Dann stand er auf, zog sich nackt aus und ging schwimmen, während Treeske am Ufer saß und an ihren Fingernägeln kaute.
    Wenn sie die Umdrehungen des kleinen Zeigers auf ihrer Uhr richtig mitgezählt hatte, war jetzt Dienstag mittag. Das bedeutete, daß sie seit sechsundzwanzig Stunden im Dunkeln eingeschlossen war. Das Zeitgefühl war ihr abhanden gekommen. Mit der winzigen Taschenlampe, die an ihrem Schlüsselbund hing, hatte sie ihre Umgebung erforscht. Als der Schein immer schwächer wurde, machte sie sie aus.

Weitere Kostenlose Bücher