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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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es immer heißer wird, kein Zweifel, der Sommer sitzt schon mit glühenden Arschbacken auf seinem Thron, ich lege Udi auf den Rücksitz und laufe mit schmerzenden Füßen zum Hotel. Warum soll ich packen, warum sollen wir wegfahren, wieder ist alles kaputt, ohne Vorwarnung, mein Kinn senkt sich in einer neuen Bewegung des Verzichts, wie gerne würde ich hierbleiben, in der stillen Lobby einen Kaffee trinken oder mich draußen auf eine Bank setzen, aber eigentlich ist es klar, oder es hätte mir klar sein müssen, daß er um so dringender wegmöchte, je mehr ich mir wünsche hierzubleiben. Vielleicht weigere ich mich diesmal, vielleicht sage ich ihm einfach, ich will bis morgen bleiben, wie ausgemacht, mal sehen, was er dann tut, aber sofort fällt mir seine Krankheit ein, da ist nichts zu machen, ich muß nachgeben, vielleicht ist er deshalb krank, damit man ihm nachgibt, aber das ist schwer zu beweisen. Ich betrete das Zimmer, von Sekunde zu Sekunde bedauere ich mehr, daß ich hier fortgehen soll, ich habe noch nicht mal auf diesem Sessel gesessen oder an dem Tisch vor dem Fenster, und immer trauriger werfe ich die Kleidungsstücke in die Tasche, werfe alle zusammen, seine und meine. Der Schrank ist schon leer, jetzt das Badezimmer, Zahnbürsten und Zahnpasta und Rasierzeug, und da auf der Ablage die Gesichtscreme, das Deodorant, die Haarbürste, und bei ihm das rote Rechteck seiner Bibel, wütend blättere ich darin, gelbe Sandkörner fallen heraus, wo, verdammt noch mal, ist diese Geschichte, deretwegen wir hier wegfahren, ein Mann Gottes, der von Juda nach Beth-El kommt, oder umgekehrt, ich habe kaum zugehört, keine Ahnung, wo ich suchen soll, keine Chance, sie zu finden, die Seiten führen mich absichtlich in die Irre, schneiden mir in die Finger, und vor lauter Wut schmeiße ich das Buch auf den Boden, als wäre es die Ursache für die Verrücktheit, die mein Leben beherrscht, ich schließe schnell die Tasche, bevor es mir leid tun kann, das ist seine Strafe, dieses Buch wird für immer hierbleiben.
    Um sicherzugehen, daß ich nichts vergessen habe, schaue ich mich prüfend um, bevor ich das Zimmer verlasse, ich blicke unters Bett und zwischen die Handtücher, und wieder fällt mein Blick auf das rote Rechteck, das Buch, das er am Ende des Gymnasiums bekommen hat, bei der Abschlußfeier, ich sehe ihn noch vor mir, wie er auf die Bühne ging, der Direktor, dem es schwerfiel, sich vom besten Schüler der Klasse zu trennen, drückte ihm die Hand und überreichte ihm feierlich das Buch, ich habe meines längst verloren, er hat seines gehütet, er nahm es mit zum Militär, danach auf alle Ausflüge, er zog es aus der Tasche und las seinen Touristen daraus vor, und schon strecke ich die Hand aus, um es trotzdem zu nehmen, aber der Abstand zwischen uns ist zu groß, denn ich mache schon die Tür zu, erschrocken und fröhlich zugleich, was denkt er sich eigentlich, daß er mir Kummer macht und ich es ihm nicht heimzahle, mir scheint, als hörte ich hinter mir ein leises Wimmern, wie von einem Säugling, der verlassen wird, aber es tut mir nicht leid, soll es ihm doch leid tun.
    Hast du nichts vergessen, fragt er, er muß alles beherrschen, sogar von den Tiefen des Rücksitzes aus, ich antworte heftig, wenn du dich nicht auf mich verläßt, geh doch selbst hinauf und schau nach, und er schweigt, seine Wangen sind rot vom Fieber, wie zwei verwelkte Rosen, und ich schiebe die Tasche hinter den Vordersitz und setze mich selbstverständlich auf die Beifahrerseite, doch dann wird mir klar, daß es hier zur Zeit keinen Fahrer gibt, außer mir, daß ich die ganze verdammte Strecke zurückfahren muß, die gewundene Straße über den Berg, und das bei meiner Höhenangst und meiner Panik vor Schluchten. Ich schaue ihn zornig an, er soll sich zusammenreißen und mich retten, aber er liegt erschöpft auf der Rückbank, und der Fahrersitz wartet nur auf mich, wie in dem Alptraum, der mich seit Jahren begleitet, ich fahre ein Auto, an dem fast alles kaputt ist und das trotzdem fährt, ich schaffe nicht, es anzuhalten, neben mir brüllen Autos wie hungrige Löwen, schneiden mich von allen Seiten, und ich habe keine Wahl, ich muß weiterfahren. Mit einer fremden Stimme frage ich, gibt es einen anderen Weg nach Hause, und er murmelt, es muß einen anderen Weg geben, du darfst nicht denselben Weg zurück nehmen, und ich seufze, er weiß schon nicht mehr, was er sagt, ich blicke in die Schlucht unter uns, bei Tageslicht sieht sie weniger

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