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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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roten Augen, die Lippen weich vom Weinen, so hätte ich heute morgen nicht aussehen sollen, und wir hätten diesen Morgen nicht im Zimmer verbringen sollen, sondern auf der Terrasse, von wo aus man den Hermon sieht, mit Kaffeetassen neben mit Köstlichkeiten beladenen Tellern, danach hätten wir spazierengehen und die Blütenpracht bewundern sollen, doch wir haben das Tal mit unserer Bitterkeit gefüllt, und ich versuche, mir zu sagen, was ich immer meinen Frauen in unserem Heim sage, du bist kein Opfer, du kannst immer wählen, du bist kein Opfer, aber welche Wahl habe ich jetzt, wenn er mich mit seinen Gebrechen an sich bindet? Wieder und wieder wasche ich mir das Gesicht mit fast kochendheißem Wasser, wie man einen Topf spült, an dem alter Schmutz klebt, schwarze, häßliche Fettflecken, du hast keine Wahl, sage ich mir, du mußt diese Haare kämmen, diesen Körper ankleiden, Strümpfe über diese Füße ziehen. Im Flur schlüpfe ich ungeschickt in meine Kleider, ermutige mich selbst, als beginge ich eine Heldentat, nur nicht in seinen toten Winkel geraten, und als ich fertig bin, sage ich schnell, ich gehe hinunter und trinke Kaffee, soll ich dir etwas bringen? Er antwortet nicht, vorsichtig werfe ich ihm einen Blick zu, er hat einen Arm über die Augen gelegt, sein Mund steht offen, bring mir eine Zitrone, murmelt er, mir ist furchtbar übel und der Kopf tut mir weh.
    Dann ist es letzten Endes doch nur eine Migräne, ich atme erleichtert auf, Migräne ist meine alte Feindin, ich ziehe einen alten Feind einem fremden Eindringling vor, wie gut kenne ich das blendende Flimmern der Augen, die Übelkeit, die schwarzen, fettigen Kopfschmerzen, ganze Tage habe ich mit Migräne im Bett verbracht, sogar an unserem Hochzeitstag hat sie mir die Freude verdorben, bis mittags um eins lag ich mit geschlossenen Augen auf meinem Jugendbett, ein feuchtes Tuch auf der Stirn, in dem alten Haus, in dem mein Vater einsam lebte und aus dem er immer mehr Gegenstände entfernte. Hungrige Katzen schlugen ihre Krallen in die Korbsessel, bis sie auseinanderfielen wie Nester, die nicht mehr gebraucht wurden, und auch die Wände leerten sich allmählich, bis nur noch die hellen Rechtecke anstelle der verschwundenen Bilder zu sehen waren, nur das riesige Barometer meines Vaters war noch da und beherrschte stolz das große Zimmer, das Barometer mit dem durchsichtigen Röhrchen, an dessen Boden sich ein schwerer, dunkler Quecksilbersee befand, der wunderbarerweise durch Aufsteigen und Sinken das Wetter vorhersagte.
    Nachdenklich stand mein Vater immer vor dem Barometer, eines seiner seltenen Lächeln auf den Lippen, das Lächeln eines siegreichen Generals, heute lohnt es sich nicht, Wäsche aufzuhängen, verkündete er meiner Mutter, als wir noch eine Familie waren, sie wird nicht trocknen, sie protestierte dann und sagte, aber der Mann von der Wettervorhersage hat behauptet, es würde heiß und trocken, widerspenstig ging sie mit der vollen Wanne hinaus, um einige Stunden später wieder zur Wäscheleine zu rennen, weil der Himmel dunkel geworden war und ihre kostbare Wäsche triefnaß. Diese Momente genoß er, vor ihren erstaunten Augen feierte er seinen Sieg über den Wetterpropheten, einen Sieg in dem geheimnisvollen Kampf, der ihn Tag für Tag forderte, als würden sie beide, er und der Mann von der Wettervorhersage, um die Liebe meiner Mutter buhlen, und diese Momente waren ihm so kostbar, daß er, auch nachdem sie weggegangen war, immer noch versuchte, sie mit solchen Auskünften zu beeindrucken. Ich fragte ihn jedesmal vor dem Schlafengehen, nun, wird das Wetter gut oder schlecht, und dann stellte er sich vor sein Barometer, betrachtete es ehrfürchtig und teilte mir seine genaue Vorhersage mit, die sich nie als falsch erwies. Vermutlich war seine Sicherheit die Essenz der Erfahrung, die er in seinem Leben gesammelt hatte, die Essenz seines Stolzes, alles gesammelt in dem Quecksilbersee, der in dem Röhrchen stieg oder fiel, und ich stolperte, das nasse Handtuch wie einen Brautschleier auf dem Kopf, mit fast blinden Augen in die Küche, um mir noch eine Zitrone zu holen, tastete mich weiter, bis mich ein Schwindelgefühl packte und meine inneren Organe umstülpte, ich versuchte, mich an der Wand festzuhalten, erwischte einen harten Gegenstand und fiel zusammen mit ihm zu Boden, beide knallten wir hin, ich und das riesige Weltthermometer.
    Die geheimnisvolle Substanz zersprang plötzlich in Dutzende von grauen Silberkügelchen, die,

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