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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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traurige Mädchen schweben wie Engel die Treppen hinauf und hinunter, neben ihrem eigenen Herzen klopft ein anderes Herz, wie sehr habe ich mich nach ihnen gesehnt, und mit heiserer Stimme sage ich, ich komme zurück, Chawa, natürlich komme ich zurück.
    Am Morgen höre ich ein seltsames Rascheln, als würden mürbe Knochen in meinem Bett zerkrümeln, und ich sehe neben mir auf der Matratze gelbe trockene Blätter, die durch das offene Fenster hereingeweht sind, aufgeregt zähle ich sie, es sind genau zehn, kaum zu glauben, zehn Blätter, eines für jedes Jahr, denn es ist schließlich auch mein Geburtstag, der Geburtstag meines Mutterseins, ich ordne die Blätter um mich und betrachte sie, triumphierende Freude erfüllt mich, als hätte ich mit eigenen Händen den Sommer besiegt und dem Herbst zu seinem Recht verholfen, nicht deshalb, weil ich den Herbst lieber hätte, sondern weil wir nur in diesem hartnäckigen Wandel Trost finden können. Hoffnungsvoll nehme ich den Hörer ab, als es klingelt, ich höre die klare Stimme von Amos, er bittet mich, Noga, die noch schläft, auszurichten, daß er heute mit seinen Eltern nach Eilat fährt und nicht zu ihrem Geburtstag kommen kann, auch Ron und Assaf könnten nicht kommen, fügt er hinzu, sie seien im Ausland, und als Noga aufwacht, ruft Nizan an, sie hat die Grippe. Noga und ich stürzen uns auf die Ballons und blasen sie auf und binden sie aneinander wie gefährliche Gefangene.
    Noga ist blaß vor Anspannung, und als sie einen der Ballons berührt, platzt er, beide fahren wir erschrocken zurück, als wäre eine Höllenmaschine in unserem Wohnzimmer explodiert, und als noch einer platzt, verwandeln sich die bunten Ballons in Feinde, wir bewegen uns mißtrauisch zwischen ihnen und wagen kaum zu atmen. Noga wäscht sich schnell und läßt mich ihre Haare kämmen, dann steht sie vor dem Spiegel, probiert ein Kleidungsstück nach dem anderen an, ihr ganzer Schrank ist schon ausgeräumt, und schließlich kommt sie in der Unterhose zu mir, ihre Brustwarzen schwellen wie Blumenknospen in der Sonne, ich habe nichts anzuziehen, sagt sie und weint fast, hat Papa all seine Sachen mitgenommen? Vermutlich schon, sage ich seufzend, schau bei ihm im Schrank nach, und sie knallt wütend mit den Türen, warum hat er nicht an mich gedacht, wie hat er mir das antun können, sie setzt sich auf den Boden und weint, und ich bücke mich zu ihr, vielleicht hast du trotzdem etwas Hübsches bei dir im Schrank, es kann doch nicht sein, daß dir alles zu klein geworden ist, aber ich gehe sofort wieder in die Küche, ich darf sie jetzt auf keinen Fall anziehen oder ihr irgendwelche Vorschläge machen, das ist ihre Angelegenheit. Ich mag aber nur seine Sachen anziehen, jammert sie, hebt den Fuß und tritt gegen das Sofa, das ihr sofort mit einer dichten Staubwolke antwortet, ich tue, als wäre ich sehr beschäftigt, öffne und schließe den Kühlschrank, bis es still wird. Fast eine Stunde später verläßt sie ihr Zimmer, sie trägt die blaue Samtbluse, die ich ihr mal gekauft habe, und hat die wilden Locken mit einem Gummi zusammengebunden.
    Du siehst toll aus, sage ich erstaunt, schau nur, wie diese Farbe deine Augen betont, schau nur, wie schön du bist, wenn dein Gesicht frei ist, und ich sehe, daß sie zufrieden ist, zusammen räumen wir die Zimmer auf, wir legen Scheren, Klebstoff, Buntpapier, Perlen und Stoffreste bereit, im Kühlschrank wartet das dunkle Schokoladenkuchenherz, ohne Verzierungen, zehn plus eine Kerze stehen mitten auf dem Tisch, drum herum Flaschen mit Getränken und Teller mit Leckereien, eine der CDs spielt schon so laut und fröhlich, daß das Telefon fast nicht zu hören ist, ich beiße mir auf die Lippe, hoffentlich ist es keine weitere Absage, doch ich höre, wie Noga beruhigend in den Hörer sagt, mit einer erloschenen Stimme, das macht doch nichts, wirklich, vielleicht ein andermal, als hätte sie morgen noch einen Geburtstag. Marwa hat ein Fußballtraining, das sie auf keinen Fall versäumen darf, flüstert sie, und ich denke an die anderen, die sich nicht die Mühe machen anzurufen, die sicher sind, daß alle anderen kommen und ihr Fernbleiben deshalb gar nicht auffällt, und je näher der Zeitpunkt rückt, um so fester presse ich die Lippen zusammen, soll ich etwas sagen oder nicht, was würde Chawa an meiner Stelle tun, wahrscheinlich gar nichts, ich habe nichts, womit ich sie trösten könnte. Sie versucht, ein ruhiges Gesicht zu zeigen, aber ich sehe, wie

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