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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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und lau geworden war, wirst du mich immer lieben? Und sein Ja kam so leicht, so enttäuschend wie ein Nein. Immer gab es Momente, wo ich auf einem Fels saß und meine Tränen hinunterschluckte. Wir waren so verloren, alle beide, verwaiste Zwillinge zwischen weißen Felsen unter einem roten Himmel, Schafe, die ihre Herde verloren hatten, und während der ganzen Zeit überlegte ich, wie es möglich wäre, wieder ins richtige Leben zurückzufinden, und ich sagte zu Joni, ich mache uns zu Hause etwas Schönes zum Abendessen, als sei das die Formel, die uns vom Fluch erlösen könnte, und er lächelte sein weiches, trauriges Lächeln und schwieg. Ich wollte schreien, warum sagst du nichts, schlag auf den Tisch, schlag auf den Felsen, zwinge mich, damit aufzuhören, bedrohe mich, stell mir ein Ultimatum, aber ich schluckte immer nur meine Tränen zwischen den Felsen, die langsam schwarz wurden.
    In unserer Hochzeitsnacht redete ich ihm ein, es sei zu banal, zu ficken, wenn alle es tun, und wir sollten uns etwas Besseres einfallen lassen und dieser Nacht einen anderen Inhalt geben. Noch bevor ich zu Ende gesprochen hatte, war er eingeschlafen, und ich lag wach da und versuchte mich zu erinnern, wie die Dinge sich entwickelt hatten, eine Art Zwischenbilanz dessen zu ziehen, was man mit einem bißchen Spott mein Liebesleben nennen könnte, herauszufinden, warum ich Joni nicht gleich am Anfang verlassen hatte, warum ich so schnell entschieden hatte, daß es für Reue zu spät sei, und ich dachte, er ist der einzige, der versprochen hat, mich immer zu lieben, und darauf hatte ich offenbar nicht verzichten können, und ich erinnerte mich an jene Nacht, in der mich der Duft nach frischem Brot eingehüllt hatte wie eine Decke.
    Und dann hörte ich einen leichten Knall, wie eine kleine Explosion, und ein großer Schatten fiel auf mich, und die Bücher sahen plötzlich alle wie geschlossene, fast identische Schachteln aus. Die Beleuchtung war ausgegangen, und das graue Nachmittagslicht, das durch die Fenster fiel, schaffte es nicht, die riesige Bibliothek zu erhellen, und zog sich wieder nach draußen zurück, und alle Köpfe hoben sich, erstaunt, mit Schlitzaugen, als seien sie gerade geboren worden. Zufrieden betrachtete ich die Gesichter, die plötzlich ohne Licht waren und denen der Computer mitten im Satz ausgegangen war, als müßten sie im endlosen Wettbewerb mit mir warten und mir die Möglichkeit einräumen, die Scherben noch einmal zusammenzukleben.
    Ich setzte mich ans Fenster und starrte in den grauen Dämmer, von dem nur ich wußte, daß er der Schatten des Tempels war, der Schatten, der ostwärts fiel bis Jericho und der die Frauen der Stadt bedeckte, die sich zusammendrängten und ihre Kinder umarmten, und plötzlich empfand ich eine dumpfe Sehnsucht nach meinen Eltern, denn immer, wenn der Strom ausfiel, hatten wir uns, weil sonst nichts anderes übrigblieb, zu dritt um eine Kerze gesetzt. Ich hatte ihnen verstohlene Blicke zugeworfen, was nur in der Dunkelheit möglich war, und versucht, mir vorzustellen, was ich in diesem Moment über sie gedacht hätte, wenn sie nicht meine Eltern wären. Manchmal merkte ich, daß sie mich ansahen, und überlegte voller Angst, daß sie mich vielleicht ebenso prüfend betrachteten und was wohl passieren würde, falls sie entschieden, daß ich nicht zu ihnen paßte. Meine Mutter stapelte immer einen Haufen Bücher neben der Kerze auf den Tisch, als würde so ein Stromausfall ewig dauern, und ganz oben auf den Stapel legte sie den alten zerfledderten Tanach, der immer irgendwie feucht aussah, das Buch klappte von selbst bei der Geschichte von David und Jonathan auf, David und Bathseba, David und Absalom, und ihre Stimme streichelte die Passagen, glättete sie für mich. Ich wartete auf die traurigsten Abschnitte, um weinen zu können, ohne mich schämen zu müssen, um mich dem Zug der Tränen anschließen zu können, der von einem Abschnitt zum nächsten führte, und mein Vater saß dabei und trommelte ungeduldig mit den Fingern, genug, hört schon auf zu weinen. Ich betrachtete uns und dachte, das ist es, was man Gegebenheiten nennt, dies hier gehört zu den Dingen, die sich nicht ändern lassen, diese Gegenwart, die schon zur Vergangenheit wird, diese Abschnitte, die sich ineinanderfügen, und das rhythmische Trommeln der Finger, dem sogar die Kerzenflamme gehorcht, das ist es, was mein Schicksal entscheiden wird. Manchmal war auch das Heulen der Schakale in den Orangenplantagen zu

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