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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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anderer, und ich überlegte, daß ich das bei Gelegenheit mit ihm absprechen würde, so eine große Bitte war das nicht.
    Als er fertig war, wurde sein Gesicht rot, und als die Erde ins Grab fiel, sah ich, daß seine Schultern zitterten, und jemand trat schnell zu ihm und legte die Arme um ihn, auch er mit einer großen schwarzen Kipa auf grauen Haaren, und zu meinem Schrecken sah ich, daß es der Alte aus Jaffo war, der Richter, der angesichts des offenen Grabes sehr viel lebhafter und selbstsicherer wirkte als angesichts seines Doppelbettes. Arie umarmte ihn fest, und ich spürte, wie die Scham in mir aufstieg, als ich an seinen weißen weichen Körper dachte, und dann bemerkte ich eine seltsame Bewegung um mich herum, ich hörte unterdrücktes Flüstern und sah meinen Vater, der unser familiäres Nest verließ und trotz des Protestes, der ihm zugeflüstert wurde, zu den zwei Männern hinging, und die beiden umarmten ihn gefühlvoll, und so standen sie da, zu dritt, wieder vereint, sich gegenseitig umarmend und weinend. Ich wunderte mich, daß auch mein Vater weinte, ich hätte nicht gedacht, daß sie ihm so nahegestanden hatte, und auch meine Mutter, die hinter mir stand, staunte, und ich hörte, wie sie Tirza etwas Giftiges zuflüsterte, und Tirza sagte, laß ihn doch, gönn ihm doch das bißchen Vergnügen.
    Und tatsächlich, er genoß es zu weinen, ich glaube, über den Tod meines kleinen Bruders hatte er nicht so geweint wie über diese Frau, die ihm fast fremd gewesen war, von einer Seite umarmt von Arie, von der anderen von Schaul, hatte er sich problemlos in die Mitte gestellt, als sei er der Witwer, so standen sie da, neben dem Grab, drei nicht mehr junge Männer, nicht schön, nicht glücklich, stolz auf ihr Weinen um eine gemeinsame Geliebte, und ich betrachtete meinen Vater, der von den Armen zweier Männer, mit denen ich geschlafen hatte, umarmt wurde wie ein kleines Kind, so wie ich vor ein paar Tagen von ihnen umarmt worden war. Seine helle, zarte Erscheinung betonte Aries Kraft, und ich dachte an meine Mutter, die sie, hinter meinem Rücken, ebenfalls anschaute, wie war es möglich, daß sie sich damals nicht in ihn verliebte, als sie die beiden zusammen sah, in dieses geheimnisvolle, stumpfe Dunkel, so stark und selbstsicher sah er aus, selbstsicher, aber nicht gerade vertrauenerweckend. Sogar hier wirkte er glatt, mißtrauenerregend, besonders neben den beiden anderen Männern, die in jeder Hinsicht wie normale Sterbliche aussahen, voller Fehler und Schwächen. Mein Vater dünn, klein und halb kahl, Schaul, dick und ein wenig gebückt, und daneben er, aufrecht und schlank, seine Fehler waren geheim, versteckt und deshalb viel gefährlicher.
    Ich hörte meine Mutter und Tante Tirza hinter mir spöttisch flüstern, die drei Musketiere, einer gestörter als der andere, sagte meine Mutter und lachte, und Tante Tirza protestierte, der Dicke sieht ziemlich normal aus, aber meine Mutter schnaubte verächtlich, was heißt da normal, ich habe gehört, er sei scharf auf Minderjährige, und ich zitterte und konnte nicht anders, ich drehte mich um und sagte, warum mußt du jeden in den Dreck ziehen, er ist Richter, so wichtig war es mir, Schaul reinzuwaschen, der mir plötzlich so nahestand, und meine Mutter griff mich sofort an, was hast du mit ihm zu tun? Woher kennst du ihn überhaupt? Und dann begann sie zu summen wie eine Wespe, wer richtet den Richter, und ich hatte plötzlich Lust, sie in die Grube zu stoßen, damit sie dort liegen sollte, Arm in Arm mit Joséphine, um den Würmern ihre Geschichten zu erzählen, und ich zischte leise, mit einer fremden Stimme, du bist schuld, alles ist deinetwegen passiert, und sie flüsterte zurück, was ist passiert, und ich sagte, deinetwegen ist der Tempel zerstört worden, denn ich hatte das Feuer aus ihrem bitteren Mund kommen sehen, ich sah, wie es sich gelb und strahlend zwischen den frischen Gräbern seinen Weg bahnte und einen schwarzen glühenden Streifen hinter sich ließ, und so lief es weiter, bis zum Tempelberg, und dort würde es seine Kraft zu unzähligen Flammen vervielfältigen, die auf den Tempel zuzüngeln, ihn erst vergolden und dann schwärzen. Ich blickte zum Himmel, gleich wird sich eine Hand herausstrecken und den Tempelschlüssel entgegennehmen, den der Hohepriester weit, weit nach oben wirft, und vor lauter Hinaufschauen sah ich auf einmal sein starkes Gesicht nicht mehr, so viele Leute drängten sich plötzlich um ihn, mein Vater konnte

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