Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)
Sarah hingerissen jubelte angesichts der kühnen Manöver, die sie an diesem Tag auf dem Wasser riskieren durften.
Als die Sonne am höchsten stand, ankerten sie draußen vor Te Kaha. Sie zogen sich zurück in die Kabine, um auszuruhen, und da hörte Sarah das letzte Drittel von Frederiks Geschichte, das sie eigentlich schon gar nicht mehr erwartet hatte.
Später erinnerte sie sich nie, wie es überhaupt dazu gekommen war, denn eben hatten sie noch über Frederiks Segelboot diskutiert, die Takelage und viele andere Dinge, die allesamt ausschließlich das Segeln und diesen wunderschönen Tag betrafen, und plötzlich begann Frederik ganz leise zu reden, so, als spräche er mit sich selbst.
„Als mein Vater und ich… also, als wir uns das letzte Mal sahen, da sprachen wir über dieses Boot. Ich hatte von ihm gelernt, wie man segelt, und ich hatte natürlich den Traum von einem eigenen Boot. Das Geld dafür hatte ich aber noch nicht.“
Sarah horchte auf. „Ich wusste gar nicht, dass ihr Kontakt hattet. Ich meine, es hieß doch immer…“
„Ja, ich weiß. Es hieß immer, ich sei Hals über Kopf nach Neuseeland gegangen, als ich gesund war, und dass ich meinen Vater nicht sehen wollte. Nie mehr.“
Frederik seufzte tief auf. „Aber so war es ja nicht. Nachdem ich aus dem Koma erwacht war, saß immer nur meine Mutter an meinem Bett. Sie saß auf ihrem Stuhl wie eine Statue, wir redeten kaum, viel zu sagen hatten wir uns nie gehabt. Und wann immer ich nach Gregor fragte, erzählte sie mir dieselben Sachen: Er hätte zuviel Arbeit. Er könnte nicht kommen, er müsste sich um seinen Abiturjahrgang kümmern und so weiter.“
Er richtete sich plötzlich auf. „Sie wollte mir weismachen, dass mein Vater für mich keine Zeit hätte. Und Gregor erzählte sie, dass ich ihn nicht sehen wollte, nicht nach alldem, was inzwischen an allen Schulen kursierte und überhaupt wäre ich noch nicht so gesund, eine Begegnung mit ihm zu verkraften.“
Sarah presste sich eine Hand auf den Mund. „Oh, mein Gott“, stieß sie schließlich hervor, „das war doch nur ein Gerücht, das eine Kollegin in Umlauf gebracht hatte, weil sie neidisch war und ihm das alles nicht gönnte, was er erreicht hatte. Aber alle, die Gregor kannten, haben niemals an seiner Integrität gezweifelt.“
Seine Stimme klang düster. „Es war alles gelogen, was meine Mutter erzählte. Sie wollte einen Keil zwischen meinen Vater und mich treiben, weil sie es nicht ertrug, dass ich von ihm alles das bekam, was sie nicht geben konnte – Zuwendung, Aufmerksamkeit, Anerkennung, Kameradschaft. Zu solchen Gefühlen war sie ja gar nicht fähig. Sie war ein seelischer Krüppel.“
Sarah, neben ihm in der Koje liegend, wandte sich ihm zu, legte liebevoll ihren Arm um ihn.
„Das, was Gregor dir gegeben hat, kann dir keiner nehmen, Frederik“, sagte sie halblaut. „Das ist ein großer, seltener Schatz, den du in dir trägst. Bis an das Ende deines Lebens.“
Er atmete ein weiteres Mal tief ein. „Ich weiß. Und ich bin dankbar, dass ich meinen Vater vor meiner Abreise nach Neuseeland noch einmal sehen durfte. Irgendwann kam ich auf meinen Traum zu sprechen – sobald ich ein Segelboot hätte, würde er für ein paar Wochen zu mir nach Blue Horizon kommen und wir würden zusammen segeln. Wie damals auf Sylt, als ich ein kleiner Junge war und er mir jeden Handgriff, jeden Knoten, die Sache mit der Tide und den einzelnen Windstärken erklärte.“
Seine Stimme brach. Er musste sich räuspern, ehe er nach einem langen Schweigen wieder sprechen konnte: „Mir wurde erst viel später bewusst, dass er die ganze Zeit sehr müde und resigniert wirkte. Seine Stimme hatte sich verändert und auch sein Lachen. Sarah, ich bin heute davon überzeugt, dass Gregor am Ende seiner Kräfte war und ich habe nichts gemerkt. Stattdessen hab´ ich die ganze Zeit nur von mir gesprochen und ihn nicht ein einziges Mal gefragt, wie es ihm geht.“
„Das ist doch absolut verständlich, Frederik. Du befandest dich mitten im Aufbruch in ein neues Leben. Gregors Zukunft war der Ruhestand. Das war ihm bewusst, davon bin ich überzeugt. Und so sehr er dir diesen Aufbruch auch gegönnt, ja, ihn sich für dich gewünscht hat, so unbarmherzig hat es ihn mit seinem Alter und dem, was ihm noch blieb, konfrontiert.“
„Ich hätte es merken müssen“, murmelte Frederik. „Wieso habe ich nicht gesehen, wie schlecht es ihm geht? Ich fühle mich immer noch wie ein Verräter, wenn ich daran
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