Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)
am Tatort der Polizei gestellt. Fakt ist, dass Robert schwer verletzt wurde und Julian sich mit der Situation offenbar überfordert fühlt. Er sagte, er schickt dir jetzt eine Mail, in der er dir alles schildern wird.“
Frederik ging, während er sprach, auf Sarah zu, die nur langsam zu begreifen schien, was er ihr da erzählte, und als die Wahrheit endgültig trotz aller innerlichen Abwehr bei ihr ankam, erblasste sie bis in die Lippen.
„Aber doch nicht Robert,“ wiederholte sie klagend, erbarmungswürdig hilflos, während ihre Hände die ganze Zeit die neben ihr sitzende Hündin streichelten.
„Das kann nicht sein“, flüsterte Sarah nun. Trotz der Wärme fröstelte sie. „Es war Kitty Cornelius, nicht? Wie konnte sie das tun? Warum hat sie das gemacht?“
Frederik nahm sie sanft wie ein Kind an die Hand. „Komm, wir gehen jetzt ´rauf ins Gartenhaus und lesen Julians Mail, okay? Möglicherweise hört sich alles viel schlimmer an, als es ist.“
„Glaubst du das?“
Er räusperte sich. „Nein. Aber es gibt immer Hoffnung, Sarah.“
Sie presste die Hände gegen ihre Ohren, als wollte sie nicht hören, was er noch sagen würde oder auch nur das Chaos, das in ihrem Kopf tobte, auf diese Art verstummen lassen.
„Ja, gehen wir, gehen wir, wir müssen uns beeilen“, stieß sie schließlich hervor.
Alles, was diesen Tag geprägt, ausgemacht hatte, galt auf einmal nicht mehr. Die Hitze war verschwunden. Die Sonne schien nicht mehr. Sarahs Gesicht war kalt wie Eis. Sie verstummte mit einem Mal, stellte keine Fragen, und Frederik konnte nichts für sie tun, konnte sie vor nichts bewahren, erst recht nichts an der Situation ändern.
Ihre Einsamkeit war es, die ihn in diesen Minuten schmerzte. Die Einsamkeit der Seele, dachte er und legte seinen Arm um sie, um sie spüren zu lassen, dass sie nicht gänzlich alleine war.
Im nächsten Augenblick blieb Sarah mit einem Ruck stehen. Sie waren fast beim Gartenhaus angekommen, da fuhr sie zu Frederik herum und rief mit erstickter Stimme, in der schon alle Tränen lagen, die sie irgendwann weinen würde, die sie sich jetzt aber nicht erlaubte:
„Ich muss nach Hause!“
„Ich weiß“, sagte Frederik leise.
Sie schien ihn nicht zu hören. „Ich muss nach Hause“, murmelte sie mehrmals vor sich hin, wie eine auswendig gelernte Litanei, bis es verzweifelt aus ihr heraus schrie: „ICH MUSS NACH HAUSE!“
Frederik nickte. „Natürlich.“
Er hatte es immer gewusst.
Sarah war dort zu Hause, wo Robert war.
Mehr noch: Robert war ihr Zuhause.
Das Bett war eine Insel.
Eine Insel in einem friedlichen Meer, sobald ihm die Augen zufielen. Dann zogen Bilder an ihm vorbei, die er nicht erkannte, Farben, die ihn möglicherweise an irgendetwas erinnern wollten, ohne dass er wusste, woran.
Er sah vor allem immer wieder Rot. Dieses Rot waberte an seinem inneren Auge vorüber, schien ihm etwas sagen zu wollen, aber er erinnerte sich an nichts, was es noch zu sagen gäbe.
Irgendwann kam ein strahlendes Weiß aus dem Dunkel auf ihn zu, Hände schienen sich nach ihm auszustrecken und da war es ihm, als ob er plötzlich fliegen konnte, eine Stimme kam aus dem Nichts, jemand sagte seinen Namen, berührte ihn, während aus einem anderen unsichtbaren Fenster Pfeile aus grellem Licht durch das Irgendwo schossen…
An diesem Morgen hatte er das Gefühl, dass ihm ein großes silbernes Segel entgegenkam, er konnte sogar das Meer riechen, den salzigen Hauch, und der Horizont wurde immer weiter und heller und plötzlich war er wach. Er schlug die Augen auf und blickte mitten hinein in Sonnenlicht, erkannte ein Fenster, an dem eine große, schmale Gestalt stand, die Arme verschränkt, und hinaus blickte, als hielte sie nach jemand Ausschau.
Diese Haltung, der Rücken, das Haar, das in der Morgensonne flimmerte… Das war kein Traum mehr. Es war die Erinnerung, die Stück für Stück zu ihm zurückkehrte.
Er sagte lautlos einen Namen, musste sich räuspern, um es noch einmal zu versuchen, und da drehte die Gestalt am Fenster sich um, stand sekundenlang reglos, kam dann quer durch das Zimmer auf ihn zu und blieb an seinem Bett stehen.
„Sarah,“ war das letzte Wort gewesen, das er gesagt hatte, dort auf der Brücke liegend, in seinem Blut, bei Kälte und Dunkelheit, und jetzt war es das erste Wort, das fünf Tage später wie von selbst über seine Lippen kam.
Sie beugte sich über ihn. „Ja, Robert.“
„Wieso bist du hier?“
„Wo sollte ich sonst sein, wenn nicht bei
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