Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)
werde demnächst sechsundvierzig und habe nichts, gar nichts aus meinem Leben gemacht…“
Und während sie die letzten Worte fast schluchzend hervor stieß, hörte sie auf, sich noch länger gegen ihre Verzweiflung zu wehren.
Jo Röben erinnerte sich nicht, dass Verena jemals geweint hätte. Er zögerte einen kurzen Augenblick, dann stand er auf, setzte sich auf die Lehne ihres Sessels, legte seine Arme um sie und sagte gar nichts.
Er ließ sie einfach weinen.
Nach einer kleinen Weile, als Verenas verzweifeltes Schluchzen verstummt war, ließ Jo ihr noch einen Moment Zeit, um sich zu fassen. Dann teilte er ihr mit, was er soeben begriffen hatte:
„Du solltest nicht in Hamburg bleiben, Verena. Das ist ein zu teures Pflaster. Berlin kommt noch viel weniger infrage, egal, ob dein Sohn nun hier oder dort lebt. Ich kann dir aber meine Wohnung in Lübeck anbieten. Die steht zurzeit leer, nachdem ich mit dem letzten Mieter einen ziemlichen Reinfall erlebt habe. Pack deine Siebensachen in München zusammen und zieh´ nach Lübeck. Und Hamburg ist von dort nur eine knappe Stunde entfernt…“
10. Kapitel
„ Robert?“ wiederholte Paul Cornelius verwundert die Frage seiner Tochter zwei Wochen später. Eigentlich hatte er nur kurz die Tür zu Kittys Büro geöffnet, um zu sagen, dass er für den Rest des Tages nicht mehr zu sprechen sei, weil ihn eine aufwändige Grundstücksbesichtigung auf dem Darß erwartete.
Kittys Frage nach Robert überraschte ihn deshalb, weil er gemeint hatte, sie wüsste Bescheid.
„Bescheid? Worüber?“ gab Kitty gereizt zurück. „ Es ist Freitagvormittag und ich kann ihn nirgends erreichen. Wo steckt der Mann? Hier laufen ständig Anfragen auf, die nur er beantworten kann. Was soll ich den Kunden sagen?“
Ihr Vater blieb gelassen: „ Dass sie am Montag wieder anrufen sollen, weil Robert heute nicht zu erreichen ist. Ist doch ganz einfach, oder?“
Kitty sah ihn überrascht an. „Bedeutet das, Robert kommt heute gar nicht mehr?“
„Genauso.“
„Warum nicht?“
„Meine Güte, Kind, du hast aber auch eine penetrante Art, Fragen zu stellen“, Cornelius drohte seine Geduld nun doch noch zu verlieren. „Weil Robert und Sarah das Wochenende in Berlin verbringen. Das war sein Geburtstagsgeschenk für sie. Du warst doch dabei, als wir bei Sarahs Party darüber redeten.“
„Ach?“ murmelte Kitty nur und warf gleichzeitig ihren Kugelschreiber hin, mit dem sie die ganze Zeit gespielt hatte. Es war eine kraftlose, resignierte Geste, etwas, das ihren Vater beinahe mehr beunruhigte als ihr offensichtlicher Zorn von vorhin.
Wie, um sie aufzuheitern, schlug er bei dem, was er noch unbedingt meinte, erwähnen zu müssen, einen besonders fröhlichen Ton an:
„Ja, sie wohnen im Hotel Royal, gehen in ein Konzert und wollen es so richtig krachen lassen – um mal Robert zu zitieren.
„Na, toll“, war alles, was Kitty dazu einfiel.
„Ich bin dann mal weg“, murmelte Cornelius. Die Tür schloss sich hinter ihm, Kitty war alleine. So alleine, wie sie schon sehr lange nicht mehr gewesen war.
Der Tag, obwohl hell und mit einem deutlichen Hauch von Frühling in der Luft, wurde von einer Sekunde zur anderen schiefergrau für Kitty. Sie kannte das. Dieses Grauen war ihr lange schon vertraut.
Robert würde nicht kommen.
Dass sie dies durchmachen musste, diesen unsagbar demütigenden, von lauter Klischees beherrschten Zustand, wurde allmählich immer grotesker. Sie beobachtete sich selbst dabei, wie sie in alle nur möglichen Phasen eines lächerlichen und gleichzeitig unbegreiflichen Narrentheaters verfiel, das aus der Qual des Wartens, der Einbildung, seine Schritte oder sein Auto zu hören, das Ausschau halten nach ihm, bestand.
Bei alldem ertappte sie sich selbst immer wieder, ärgerte sich darüber und – hörte nicht auf damit.
Ach, wie jämmerlich, wie lächerlich und verachtenswert war das alles…
Wie die Königin im Märchen vor den Spiegel tritt, um die Wahrheit zu erfahren, so stellte sie sich jetzt vor den Spiegel, der hier in ihrem Arbeitszimmer hinter ihr an der Wand hing.
Sie sah eine junge Frau, deren Anblick förmlich dazu aufforderte, ihn zu genießen. Schimmernde Haut, glänzendes Haar, klare, strahlende Augen. Jede Pore, jeder Wimpernschlag verrieten Kitty, dass sie schön war. Sehr schön.
Aber die Zeit verging und blieb ein erbarmungsloser Begleiter. Sie war ihr wie ihr eigener Schatten ewig auf den Fersen – und was tat sie?
Sie versuchte, gut,
Weitere Kostenlose Bücher