Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)
Und, Sarah, wenn du magst, kannst du heute Abend mit uns essen. Das war aber meine Idee, denn ich finde, du bist einfach zu dünn. Jemand muss für dich sorgen, wenn du es selber nicht kannst.“
Sprach´s und schwebte in ihrer unnachahmlichen Art davon, öffnete geräuschlos die Tür und schloss sie genauso geräuschlos wieder hinter sich.
Sarah hatte danach lange das Gefühl, als wäre ein Engel bei ihr zu Besuch gewesen.
Dies war seit ihrer Ankunft der schönste und glücklichste Moment. Als sie auf „Blue Horizon“ ankam, war sie auf der Flucht vor dem Chaos in ihrem Innern gewesen. Sich von diesem Gefühl zu befreien, erwies sich als schwieriger, als sie für möglich gehalten hatte. Die alte Last, mitgebracht aus Deutschland, wollte sich nicht so ohne weiteres wie ein altes, zu eng gewordenes Kleid abstreifen lassen.
Früher hatte sie fast jede Nacht von Gregor Becker geträumt, jetzt erschien in ihren Träumen ausschließlich Robert.
Robert in allen Variationen.
Als ihr Liebhaber, ihr rachsüchtiger Verfolger, sogar als ihr Mörder. Als einer, der sie bedrohte, der ihr die Kehle zudrückte, sodass sie nach Atem ringend und in Schweiß gebadet aus ihrem Schlaf erwachte vor Angst, dass Robert sie umbringen würde, weil sie ihn verlassen hatte.
Es gab keine Nacht, in der sie nicht stundenlang wach lag und darüber grübelte, ob ihre Entscheidung, einfach weg zu gehen, ohne Robert noch eine Chance zu geben, mit ihr zu reden, richtig oder falsch gewesen war und welche Alternative es sonst für sie gegeben hätte.
Hätte sie bleiben und ihm verzeihen sollen?
Hatte sie ihnen, indem sie genau das nicht tat, die Chance auf einen Neubeginn endgültig genommen?
Das war die Frage, die sie umtrieb und auf die sie keine Antwort fand. Erst recht nicht in ihren schlimmen Träumen.
Dr. Claire Masterson war ungefähr zwanzig Jahre älter als Frederik, also Mitte Fünfzig, und erinnerte mit ihrem dichten, grauen Haar, das sie schulterlang und in der Mitte gescheitelt trug, immer ein wenig an eine kampfbereite Löwin. Ihr Gesicht war schmal, ihre Haut straff und braungebrannt, da sie fast jede freie Minute damit verbrachte, in der Bay Of Plenty zu segeln.
Sie war außerdem sehr groß, sehr schlank und hatte eine überraschend dunkle Stimme. Darüber hinaus besaß sie einen ausgesprochen kühnen Geschmack, was ihre Kleidung betraf.
Zu diesem Dinner hatte Frederik sie ausdrücklich gebeten – sie war überzeugt, dass er das nur getan hatte, um nicht mit Sarah alleine essen zu müssen. Aber sie nahm seine Einladungen nach „Blue Horizon“ immer wieder gerne an. Dafür hatte sich heute in ein Gewand aus bunter Seide gewickelt, das einem orientalischen Kaftan sehr ähnlich war.
Nachdem Frederik das Telefongespräch mit seiner Patientin endlich beendet hatte, kehrte er zu Claire zurück, die in der Küche am Fenster stand und durch die halb geschlossene Jalousie hinaus in den Garten schaute.
Ohne sich nach ihm umzudrehen, fragte sie: „Na, wie ist es gelaufen? Konntest du die arme Person beruhigen?“
Er seufzte. „Ja, ich denke schon. Immerhin gelang es mir, sie davon zu überzeugen, dass auch ich das Recht auf ein freies Wochenende habe und nicht ihretwegen, neben dem Telefon sitzend, zu Hause bleiben werde.“
„Gut. Du darfst deinen Patienten nie den Eindruck vermitteln, dass sie über dich verfügen können. Aber das weißt du ja längst. – Ist das dein Gast aus Deutschland?“ wollte sie im nächsten Atemzug wissen, als sie Sarah entdeckte, die eben das Gartenhaus verließ.
Frederik antwortete nicht sofort. Während Sarah auf das Haus zuschritt, überraschte er Claire mit einer so nicht erwarteten Frage:
„Was siehst du, Claire?“
Ihr Zögern währte nur kurz, dann erwiderte sie: „Ich sehe – kein Glamourgirl. Aber wenn ich mir ihren Hals, ihren schmalen Nacken anschaue! Schön wie ein Schwan. Ihr Gang, ihre Haltung verraten Stärke. Ja, das ist eine sehr starke, junge Frau. Ach, und der Mund! Herrlich! Ich behaupte mal, dass jeder Mann ihr sofort verfällt alleine wegen dieses Mundes.“
Unvermittelt drehte sie sich nach Frederik um. „Hast du dich in sie verliebt?“
Wenn sie gehofft hatte, ihn damit in Verlegenheit bringen zu können, dann irrte sie. Frederik blieb absolut unbeeindruckt.
„Nein, und ich bezweifle auch, dass das passieren wird.“
„Wieso nicht?“
„Wegen ihrer Vorgeschichte. Sie ist ja nicht zufällig hier, sondern weil sie Hilfe braucht. Aber das weiß sie nicht.
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