Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)
Nichts von dem Lärm und der Unruhe um sie herum schien diese Zwei zu erreichen, und während Kittys Blick sich förmlich an den beiden fest saugte, sah sie, wie Julian „Ich liebe dich“ sagte.
Sie las es von seinen Lippen ab, und sie sah auch, wie seine Freundin errötete, um dann ihre Wange gegen seine Wange zu legen. Sie flüsterte ihm etwas ins Ohr, das Kitty nicht entziffern konnte, aber höchstwahrscheinlich „Ich liebe dich auch“ lautete.
Kitty warf den Mantel, den Jens Schneider ihr brachte, gleichgültig über und verließ das „Take Five“, ohne sich noch einmal umzublicken.
Draußen erwartete sie ein kalter Wind mit Regenböen, aber sie fühlte weder Kälte noch Nässe. Alles, was sie spürte, war eine riesige, innere Leere. Noch nie war ihr so sehr danach zumute gewesen, sich einfach fallen zu lassen und zu weinen, weil sie sich immerzu nur an den Blick erinnerte, mit dem Julian Debus seine schöne, blonde Freundin – ein ätherisches, faszinierend unirdisches Geschöpf – angesehen hatte.
In diesem Blick hatte Kitty alles erkannt – Zärtlichkeit ebenso wie Hingabe, Sanftheit und Leidenschaft, Vertrauen und Wärme.
Kitty spürte die ersten Tränen über ihre Wangen laufen. Noch nie war sie so von einem Mann angesehen worden, wusste sie und das tat weh. Keiner hatte ihr jemals auf eine so unvergessliche Art eine Liebeserklärung gemacht.
Von Liebe war bei keinem der Männer, mit denen sie geschlafen hatte, jemals die Rede gewesen. Sie machte Männer „scharf“ oder „wahnsinnig“, sie hatten „heißen, unvergesslichen Sex“ mit ihr und dann verschwanden sie aus ihrem Leben.
Auch Robert hatte nie behauptet, dass er sie liebte.
Im Gegenteil: „Es tut mir leid“, war alles gewesen, was er sagte, als er nach den zwei Stunden, die er mit ihr verbracht hatte, nach Hause fuhr. Was ihm eigentlich leid getan hatte, wusste sie bis heute nicht. Er hatte es ihr nie erklärt.
Der Taxifahrer, der ein paar Minuten später die Tür zum Rücksitz seines Wagens für Kitty aufhielt, sah eine junge, beunruhigend verletzlich wirkende Frau, deren Gesicht unter einer von Tränen verschmierten Mascaraschicht so blass war, dass er besorgt fragte:
„Alles in Ordnung?“
Kitty nickte.
Ja, alles in Ordnung.
21. Kapitel
E s klopfte leise an die Tür, und noch ehe Sarah antworten konnte, fragte Rebecca vorsichtig: „Darf ich stören?“
„Du störst nicht, Rebecca. Du störst nie. Komm ´rein. Ich komme im Moment sowieso nicht weiter mit meiner Arbeit.“
„Du sollst nicht immer nur arbeiten“, erwiderte die schöne Rebecca vorwurfsvoll. Sie stand jetzt neben Sarahs Schreibtisch, der in einem Chaos von eilig gekritzelten und meistens wieder durchgestrichenen Notizen zu ersticken drohte.
Dann seufzte sie einmal tief auf und schob Sarah behutsam einen Zettel über eine kleine freie Fläche des Schreibtisches hin.
„Was ist das?“ fragte Sarah verdutzt.
„Eine Nachricht von Frederik. Er wollte eigentlich selber kommen und es dir sagen, aber dann klingelte wieder das Telefon und eine seiner Patientinnen droht damit, sich umzubringen und nun muss er mit ihr reden, bis sie sich wieder beruhigt hat.“
Rebecca sagte das alles in einem völlig sachlichen, beinahe unbeteiligten Tonfall, gerade so, als gehöre es zu den selbstverständlichsten Dingen der Welt, dass jemand am Telefon den eigenen Selbstmord ankündigte.
Sarah erschrak jedoch. „Oh, mein Gott! Das ist ja furchtbar!“
„So furchtbar auch wieder nicht“, blieb Rebecca gelassen. „Meistens kommen sie alle wieder zur Vernunft, wenn Frederik eine Weile mit ihnen geredet hat. Es liegt ja auch meistens nur daran, weil sich die Frauen immer in ihn verlieben, und dann kann er sie nicht mehr therapieren und reicht sie weiter an Claire.“
„Claire?“
„Seine Kollegin, mit der er sich die Praxis teilt.– Möchtest du lesen, was er dir schreibt? Ich soll ihm nämlich deine Antwort gleich mitbringen, hat er gesagt.“
Frederik hatte auf einen Zettel, der kaum breiter war als der Rand einer Zeitung, in aller Eile gekritzelt:
„Samstagabend – Auckland, 8.00 Uhr, Konzerthalle, Gewandhausorchester Leipzig. Kurt Masur, Beethovens 9. Sinfonie. Hast du Lust?“
Sarah las noch einmal, dann sah sie Rebecca an und ihr war, als ob sie schwankte.
„Ja, natürlich habe ich Lust“, antwortete sie dann glücklich.
Es war Rebecca anzusehen, wie sehr sie sich über diese Antwort freute. „Ich sag´ es ihm. Er hat gehofft, dass du mitkommst.
Weitere Kostenlose Bücher