Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)
dass Claire eines Tages nach Oxford oder Cambridge gehen würde, um zu studieren, denn zu dieser Erkenntnis waren John und Ruth Masterson längst gekommen, dass sie von ihrem einzigen Kind, das ungewöhnlich klug und begabt war, nicht erwarten durften, dass es nach dem Abitur die elterliche Farm übernahm.
„… es war allerdings so, dass mein Vater stark an Asthma litt, das Klima in Wales ist immer feucht, nass, nebelig, es war Gift für ihn, sodass es schlimmer mit dem Asthma wurde, und als er eines Nachts fast an einem Anfall starb, beschloss meine Mutter, von zu Hause weg zu gehen“, fuhr Claire fort. „Es dauerte nicht lange, dann stand es fest. Wir würden Wales verlassen. Ich begriff damals gar nicht, was das eigentlich bedeutete. Zuerst hieß es, wir gehen nach Australien, aber die Australier wollten uns nicht. Also entschieden wir uns für Neuseeland und nach einem halben Jahr war alles unter Dach und Fach. Unsere Farm in Wales übernahm einer unserer Arbeiter, uns war eine Farm in Neuseeland in der Nähe von Rotorua angeboten worden – und so kamen wir nach Blue Horizon.“
Claire schwieg plötzlich. Weder Frederik noch Sarah störten sie in diesem Schweigen.
Irgendwann räusperte Claire sich, um mit leiser Stimme fortzufahren: „Meinem Vater ging es nach einiger Zeit viel besser, was einzig und allein an diesem wunderbaren Klima lag. Irgendwann brauchte er nicht einmal mehr seine Medikamente gegen das Asthma. Er züchtete Rinder und Schafe, Mutter war glücklich in dem schönen Haus und mit ihrem Garten…“
„Und du?“ fragte Frederik halblaut, während eine weitere leichte Abendbrise vom Meer herüber wehte. Die letzten Vogelstimmen waren verstummt.
„Ich“, erwiderte Claire zögernd, „hatte keine Ahnung gehabt, was es bedeutete, die Heimat zu verlassen. Ich war zehn Jahre alt und lebte hier auf der Farm in völliger Einsamkeit. Wo waren all die anderen Kinder? Ich ging in Gisborne zur Schule, meine Mutter fuhr mich regelmäßig hin und holte mich wieder ab, aber irgendwann klappte das nicht mehr. Also wurde beschlossen, mich in Gisborne auf eine Boarding School zu schicken. Und dort war ich so einsam, trotz der vielen anderen Kinder, wie ein Kind von elf, zwölf Jahren nur sein kann, das sich seiner Wurzeln beraubt fühlt.“
Plötzlich lachte sie. Überraschenderweise war es ein fröhliches Lachen.
„An der Boarding School hatten wir eine junge Psychologin, die sich meiner annahm. Ich könnte mit ihr über alles reden, sagte sie und das tat ich. Ich erzählte ihr alles, was mir auf der Seele lag. Und das half mir, wieder festen Boden unter die Füße zu kriegen. An den Wochenenden war ich zu Hause bei meinen Eltern. Je älter ich wurde, desto häufiger brachte ich Freundinnen und später auch Jungs mit nach Blue Horizon. Das Leben war irgendwann wieder schön. Und es wurde immer noch schöner, als ich mich zum ersten Mal verliebte.“
„Hört, hört!“ sagte Frederik lächelnd.
Claire ließ sie ihren Blick über die Wiesen und Felder wandern, in deren Mitte das Haus lag.
„Meine Eltern mussten die Farm vor sechs Jahren aufgeben. Meine Mutter war sehr krank geworden und je mehr ihr Zustand sich verschlechterte, desto öfter sagte sie zu mir:
Claire, wenn ich sterbe, bring mich nach Hause. Begrabt mich nicht in fremder Erde.
Ich habe es ihr geschworen, und so kehrten meine Eltern nach Wales zurück, wo meine Mutter in Frieden sterben durfte und wir sie auf dem kleinen Friedhof begraben haben, ganz in der Nähe der Gräber ihrer Eltern und Großeltern…“
Sie lachte erneut, dieses Mal etwas wehmütig. „So sind sie, die Auswanderer aus Wales, Irland oder auch Schottland. Egal, wohin sie gehen, sie leben dort vierzig und fünfzig Jahre, nennen es ihre neue Heimat – aber wenn es ans Sterben geht, müssen sie nach Hause, dorthin, woher sie einst gekommen sind. Dann heißt es `Begrabt mich nicht in fremder Erde`.“
Frederik schaltete sich ein: „Und als ich hierher kam und einige Wochen lang in einem engen, hässlichen Zimmer in Gisborne gewohnt hatte und mich fast genauso entwurzelt fühlte wie damals die kleine Claire, da sind wir uns begegnet.“
„Im Café“, sie sah ihn vorwurfsvoll an, „wo du Tee auf meinen teuersten Rock verschüttet hast, den ich mir jemals gekauft hatte.“
„Aber ich habe widerspruchslos die Kosten für die Reinigung übernommen“, erinnerte Frederik sie.
Claire wandte sich an Sarah. „Er sah damals schrecklich aus. Eigentlich eher zum
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