Liebesnacht mit einem Mörder
Treppe hinunter in Richtung der Bibliothek.
An den Wänden des zweigeschossigen Raumes waren bis hinauf zur Decke Bücher aufgereiht. Es verblüffte sie immer wieder, dass ein Mann, der mit einem Fingerschnipsen einen kleinen Planeten kaufen konnte, lieber ein schweres, unhandliches Buch zur Hand nahm, statt sich bequem vor einen Monitor zu setzen und zu lesen.
Eine seiner Grillen, nahm sie an, obgleich ihr der reiche Lederduft der Deckel und der Anblick der schimmernden Buchrücken in den Regalen aus dunklem Mahagoni durchaus ebenfalls gefielen.
Es gab zwei großzügige Sitzbereiche mit burgunderroten Ledersofas, Lampen aus Messing und diamantblitzendem Glas und reich von Schreinern eines vergangenen Jahrhunderts verzierten Schränken aus blank poliertem Holz.
Vor dem breiten Fenster fand sich eine bequeme, mit dicken Polstern in den Farben der Lampenschirme ausgelegte Marmorbank, und auf dem frisch gewienerten Kastanienparkett lagen riesengroße alte Teppiche mit komplizierten Mustern auf dunkelrotem Grund.
Sie wusste, dass sich in dem antiken Schrank eine hochmoderne Multifunktions-Computeranlage verbarg. Doch alles, was man sah, verriet Alter, Reichtum und einen erlesenen Geschmack.
Sie kam nicht oft in diesen Raum, wusste jedoch, dass Roarke mit Vorliebe hier saß. Oft fand sie ihn abends mit ausgestreckten Beinen in einem der Ledersessel vor, neben sich ein Glas Brandy, ein Buch in seiner Hand. Lesen entspannte ihn, hatte er ihr erklärt. Sie wusste, er hatte sich das Lesen als Junge in den Slums von Dublin selber beigebracht, als er über einen zerfledderten Band von Yeats gestolpert war.
Sie trat vor den Schrank und öffnete die mit Lapislazuli-und Malachit-Einlegearbeiten elegant verzierte Tür. »Computer an«, befahl sie und blickte vorsichtig über die Schulter. »Ich brauche eine Liste sämtlicher in der Bibliothek befindlicher Werke von Yeats.«
Yeats, Elizabeth oder Yeats, William Butler?
Sie runzelte die Stirn und raufte sich die Haare. »Woher zum Teufel soll ich das bitte wissen? Irgendein irischer Dichter. «
Yeats, William Butler. Suche … Die Wanderungen Oisins, Abschnitt D, Regal fünf. Gräfin Cathleen, Abschnitt D -
»Sekunde mal.« Sie kniff sich in die Nase. »Suche ändern. Ich muss wissen, welche Bücher von diesem Typen nicht hier in der Bibliothek sind.«
Änderung… Suche…
Wahrscheinlich hatte er sowieso schon jedes einzelne verdammte Werk von diesem Typen. Blöde Idee, dachte sie, stopfte die Hände in die Taschen ihrer Jeans…
»Lieutenant.«
Und hätte vor Schreck beinahe geschrien. Sie wirbelte herum und starrte den Butler ihres Mannes zornig an. »Was ist? Verdammt, ich hasse es, wenn Sie das tun.«
Er sah sie ungerührt an. Er wusste, dass sie es hasste, wenn er sich lautlos an sie heranschlich. Weshalb er es umso lieber tat. »Darf ich Ihnen bei der Suche helfen – auch wenn mir bisher nicht bewusst war, dass Sie etwas anderes als Polizeiberichte und ab und zu eine Diskette über Verhaltensauffälligkeiten lesen.«
»Hör zu, Kumpel, ich habe jedes Recht, in diesem Raum zu sein.« Was nicht erklärte, weshalb sie sich fühlte, als wäre sie eine kleine Diebin und als hätte man sie bei einem Einbruch überrascht. »Und ich brauche keine Hilfe.«
Die Bibliothek verfügt über sämtliche Werke des Autors William Butler Yeats. Brauchen Sie die genauen Standorte und Titel?
»Nein, verdammt. Habe ich es doch gewusst.«
»Yeats, Lieutenant?« Neugierig betrat Summerset den Raum. Dicht hinter ihm kam Galahad, der zu Eve hinübertrottete, sich zwischen ihren Beinen durchwob und sie dann wieder verließ, um auf die Bank zu springen und in die Nacht hinauszustarren, als wäre sie sein ganz persönlicher Besitz.
»Na und?«
Statt einer Antwort zog er lediglich die Brauen in die Höhe. »Interessieren Sie sich für ein bestimmtes Schauspiel, eine Sammlung oder ein spezielles Gedicht?«
»Was sind Sie, die Bibliotheksaufsicht?«
»Diese Bücher sind sehr wertvoll«, erwiderte er kühl. »Viele sind Erstausgaben und somit sehr selten. Sie finden sämtliche Werke von Yeats auch auf Diskette. Das wäre für Sie bestimmt die bessere Methode.«
»Ich will das verdammte Zeug nicht lesen. Ich wollte nur sehen, ob es etwas gibt, was er noch nicht besitzt, was völlig dämlich war, weil er einfach alles hat. Was zum Teufel soll ich also tun?«
»In welcher Beziehung?«
»In Bezug auf Weihnachten, Sie Ochse.« Wütend wandte sie sich an den Computer. »Aus.«
Summerset
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