Liebesnächte in der Taiga
Hilfe!«
Dann stolperte er weiter, unendliche Müdigkeit in den Knochen. »Hierher!« schrie er immer wieder, aber er glaubte, daß niemand ihn hörte und seine Stimme nur noch in seinen Ohren widerklänge.
So kamen sie sich entgegen … Semjonow, ein taumelnder, vereister Waldgeist, und Schliemann in einem leichten, von einem Rentier gezogenen Schlitten. In die Arme fielen sie sich, und Semjonow weinte vor Glück und Erschöpfung, ließ sich hochheben und wegtragen wie ein Kind, in einen Schlitten legen, mit dicken Fellen zudecken, und als der Schlitten, der von einem Jakuten gelenkt wurde, gleich wieder zurückfuhr und durch den Wald schwankte, schlief er bereits.
Dort, wo Schliemann auf Semjonow getroffen war, versammelten sich wenig später etwa fünfzig Männer mit Schlitten und kleinen struppigen Reitpferden.
»Ich habe recht gehabt«, sagte Schliemann, als alle Suchtrupps um ihn versammelt waren. »Semjonow wurde von Menschen gefangengehalten. Wir gehen sie suchen, Freunde. Wir haben die Spuren Pawluschas. Gehen wir ihnen nach.«
Nach zwei Stunden erreichten sie das Tal, in dem die Brodjagi hausten. Sie folgten der Spur Semjonows, jagten wie die wilden Jäger durch das Palisadentor, und als die Hunde johlten und bellten, im Frauenhaus die Weiber sich vor die Kinder warfen und mit Eisenstangen in den Händen auf die Eindringlinge warteten, stürmten die Männer aus Nowo Bulinskij die Hütten und trafen die Sträflinge an, wie sie gerade in ihre Kleider fuhren, sich die Hosen zuknöpften und nach ihren Stiefeln suchten.
Es war ein kurzer, heftiger Kampf, unblutig und nur als Strafe gedacht. Je zwei oder drei aus Nowo Bulinskij fielen über einen Brodjaga her, verprügelten ihn mit den Fäusten, trieben ihn vor sich her und schlugen ihn so lange, bis er umsank und das Bewußtsein verlor. Jedem erging es so, auch dem kleinen ›Professor‹, der nur vier Schläge nötig hatte, um den Rest der Nacht zu verträumen. Sogar Illarion wurde besiegt … Schliemann trieb ihn mit den Fäusten aus der Hütte. Vor seinem Haus wurde Illarion in den Schnee geboxt und gab mit einem lästerlichen Fluch sein Bewußtsein auf.
Dann ritten die Männer aus Nowo Bulinskij wieder davon. Die Hunde tobten wie irr, und die Frauen krochen aus den Verstecken hervor, liefen von Haus zu Haus, schichteten Schnee auf die betäubten Köpfe, massierten die Körper, kühlten die Wunden und die verschwollenen Augen. Ein wahres Chaos war's, und eine Schande für die Männer dazu. Heulend vor Wut saß der ›Professor‹ auf den Stufen seiner Hütte, nachdem er wieder zu sich gekommen und von Weiberhänden massiert worden war.
An diesem Tag wurde Illarion einstimmig zum Tode verurteilt.
14
Einen Tag vor Heiligabend war das Haus Semjonows fertig. Bekränzt mit Tannengirlanden und bunten Bändern war der Eingang, und auf dem gescheuerten Tisch stand eine große hölzerne Schüssel mit einem Häufchen grobem Salz und einem Laib dunklen, duftenden, frisch gebackenen Brotes … das erste Brot, das Ludmilla selbst hinter dem Haus, im Backraum neben dem Stall, gebacken hatte.
Der Auszug aus dem Krankenhaus und die Fahrt zum neuen Haus war ein Triumphzug. Ein langer Schlittenzug begleitete den Schlitten Semjonows, die Glöckchen an den Pferdehälsen bimmelten hell, der Schnee wirbelte unter den stampfenden Hufen auf, die Peitschen knallten, und dann sangen sie alle. Ihr Atem schwebte als Eiswolke vor den Mündern, denn verflucht kalt war es an diesem Tag kurz vor Weihnachten. So kamen sie vor Semjonows neuem Haus an, eine Kavalkade von Schlitten und Rentierreitern, mit lautem Gesang und Geschrei und dem kreischenden Lachen der Weiber, die in dicken Pelzen in den Schlitten saßen und schon angewärmt worden waren von einigen Gläschen Wodka oder Samogonka.
Nun sahen sie das neue Haus, und die Kirstaskaja, die neben Ludmilla im Schlitten saß, legte den Arm um ihre Schulter und küßte sie auf die frostrote Wange. Semjonow, der selbst den Schlitten lenkte, zog die Zügel stramm, und die beiden Pferdchen wieherten, hoben die Köpfe und schüttelten die zottigen Locken von ihren schwarzen Augen.
Vor der Tür, unter den Girlanden und Bändern, stand Väterchen Alexeij, der Pope. Er trug seinen Festornat, mit der Kamilawka auf den langen Haaren, das goldbestickte Phelonion um die Schultern, unter dem Gürtel die Stola, die man hier Epitrachelion nennt. Das große goldene Kreuz leuchtete auf seiner Brust, und in seinem langen weißen Bart funkelten
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