Liebesnächte in der Taiga
den Händen wird man euch die Figuren reißen.«
Die Mongolen schwiegen. Sie tranken stumm, aßen Bärenkeule in Gelee und eine kräftige Grützsuppe mit marinierten Pilzen, verließen dann das Haus, aber sie nahmen die Figuren mit und legten hundert Rubel auf den Tisch.
Schliemann und Semjonow sahen sich an. »Hundert Rubelchen«, sagte Schliemann leise, als die Mongolen gegangen waren. »Wenn sie uns freiwillig hundert geben, sind die Sachen dreihundert wert. Ich glaube, wir haben eine wahre Goldgrube aufgetan. Fahren wir nächste Woche nach Jakutsk, um Maschinen zu kaufen?«
»Ich glaube doch.« Semjonow lachte und gab Ludmilla einen Kuß auf beide glänzende Augen. »Unser Leben wird völlig anders werden. Karpuschin ist tot, niemand wird mich hier mehr suchen … Ich werde aus Nowo Bulinskij eine reiche kleine Stadt machen!«
Es wurde noch ein schöner Tag. Der Sowjet von Bulinskij träumte von einem großen Kulturhaus, das er bauen wollte, wenn Geld in die Kassen floß. »Theater werden wir spielen«, rief er verzückt. »Genossen! Theater! Stücke von Gogol und Schiller! Von Gorkij und Jewgenij Schwarz! Aber Schiller, vor allem Schiller!«
Semjonow lachte. Er wußte, wie sehr die Russen Schiller lieben. In den Gefangenenlagern hatte er es immer wieder erlebt. Dort spielten Theatergruppen deutscher Plennys selbstverfertigte Lustspiele oder schaurige Ritterdramen. Jedes Stück mußte vorher von dem Lagerkommandanten genehmigt werden, und die Genehmigung wurde immer erteilt, wenn es hieß: »Es ist ein Stück von Schiller, Herr Kommandant!« Um all die Dramen zu schreiben, die in den deutschen Gefangenenlagern als von Schiller verfaßt ausgegeben worden waren, hätte der Dichter siebenhundert Jahre alt werden müssen. Jemand hat es einmal ausgerechnet.
Eine Woche später zogen die Mongolen wieder nach Süden, nach Jakutsk. Und jeder wartete von nun an auf eine Nachricht. Wurden die Figuren verkauft? War es ein Geschäft? Kam Geld, viel Geld nach Nowo Bulinskij?
Mit zwanzig Booten fuhren Semjonow und seine Teilhaber die Muna hinauf zum Steinbruch und holten Rohachat. Dann wurden sie von dem Motorboot, das im Winter Ludmillas Leben gerettet hatte, in Schlepp genommen, und ein langer Zug kehrte schwer beladen zur Lena und nach Bulinskij zurück.
In Jakutsk standen die Achatfiguren einen Tag im Fenster eines Geschäftes in der Frunsestraße. Dort sah Marfa Babkinskaja den kleinen, sitzenden Bären, kaufte ihn für dreißig Rubel und brachte ihn mit als kleines Geschenk für Karpuschin.
»Sieh einmal!« sagte sie, als sie das Zimmer betrat. Karpuschin war mißmutig. Die Verhandlungen mit den Chinesen schleppten sich hin; immer wieder sagte man ihm, man erwarte die letzte Nachricht aus Peking, aber sie kam nicht. Er hatte es sich leichter vorgestellt, der Generalmajor Karpuschin. Glücklich müssen sie sein, wenn ein Fachmann wie ich sich ihnen anbietet, hatte er gedacht. Aber nun zeigte sich, daß die Chinesen sehr kritisch waren; sie ließen Karpuschin schmoren wie einen zähen Braten.
»Was soll das?« fragte Karpuschin, betrachtete unlustig den Achatbären und wandte sich wieder ab. »Für so etwas gibst du Rubel aus!«
»Es soll dich aufheitern, Matweij Nikiforowitsch.« Marfa Babkinskaja stellte den kleinen Bären auf eine hölzerne Konsole und lächelte ihn an. »Sieh einmal, wie süß er ist.«
»Süß ist Zucker und Honig, und süß bist du im Bett«, brummte Karpuschin. »Die Chinesen machen Schwierigkeiten, und das ist verdammt sauer. Wir müssen aus Rußland weg sein, Täubchen, bevor man im Kreml ungeduldig wird und fragt, was mit Semjonow los ist! Was soll ich nach Moskau melden? Nichts Neues, Genossen … Wer wagt so etwas? Ich selbst habe ja einst die Leute, die mir solche Meldungen einreichten, als blinde Idioten bezeichnet. Ach, Marfuschka, wenn du meine Sorgen hättest!«
»Man stellt diese Achatfiguren oben im Norden her, an der Lena, so sagte mir der Verkäufer.« Marfa drehte den kleinen Bären, bis er ihrer Meinung nach im richtigen Licht stand. »Ehemalige deutsche Kriegsgefangene sollen es sein. Sie haben einen Ort gegründet und leben dort als Bürger. Matweij Nikiforowitsch …« Sie trat hinter Karpuschin, legte den Arm um seinen Hals und küßte ihn in den Nacken. Es kitzelte ihn, und er begann zu brummen wie ein schläfriger Bär. »Wäre es nicht eine Abwechslung, einmal dort hinzufahren? Stell dir vor … ein deutsches Dorf in der Taiga! Das muß man gesehen
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