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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Salzwasser gebadet. Die Entzündung ist zurückgegangen. Stell dir vor, ein winziges Stückchen Dorn war noch im Fleisch. Es wäre mit dem Eiter herausgekommen. Aber ich habe es herausgezogen!« Semjonow zeigte auf die quiekende Nadja. Zwei Rindenboote trieben auf der Muna, und ein großer silberner Fisch tauchte mehrmals auf und schnappte danach. »Wie fröhlich sie ist, Ludmilluschka! Ich habe ein Messerchen an einem Schleifstein ganz spitz geschliffen, ausgekocht und dann den Dorn herausgeschnitten. Sie war so brav, unser Töchterchen. Nur beim Einschnitt hat sie geweint …«
    Ludmilla erzählte schnell, was sich in Bulinskij ereignet hatte.
    »Du hast also Karpuschin gesehen?« sagte Semjonow.
    »Ja. Zwei Meter von mir war sein Nacken. Und ich hielt die Nagan schußbereit in der Hand.«
    »Warum hast du nicht geschossen?«
    »Ich wollte es. Aber dann dachte ich an Katharina. Auf sie wäre die ganze Last der Strafe gefallen.«
    »Niemand hätte es je entdeckt. Borja hätte Karpuschin in den Wald geschafft und begraben oder mit Steinen beschwert in die Lena versenkt.«
    »Und Marfa? Sie besichtigte die Steinschleiferei. Alarm hätte sie geschlagen! In wenigen Stunden wäre die Garnison von Jakutsk in Bulinskij gewesen.«
    »Du bist ein kluges Weibchen.« Semjonow küßte Ludmilla.
    »Ich war einmal Kommissarin, vergiß das nicht.« Ludmilla griff in die kurzen blonden Haare Semjonows. »Ich wurde ausgebildet, herzlos zu sein. Und dann kamst du, und ich entdeckte, daß in meiner Uniform ein ganz anderer Mensch wohnt.« Sie zog an seinen Haaren, er knurrte und kroch höher und umfing ihren blanken, zarten Leib mit beiden Händen.
    »Was wirst du tun, wenn Karpuschin mich einfängt?«
    »Ich werde ihn töten und dann Nadja und mich.« Es klang ganz ruhig, als habe sie es sich schon lange überlegt.
    »Das wirst du nicht tun!« sagte Semjonow streng. »Versprich, daß du es nicht tust. Du sollst mit Nadja weiterleben.«
    »Es gibt kein Leben ohne dich, Pawluscha. Du weißt es.«
    Karpuschin fuhr in aller Frühe schon wieder nach Shigansk. Die Atmosphäre bei Major Kraswenkow behagte ihm nicht. Ein Major, der an seinem heilgebliebenen Bein statt einem Stiefel einen Fellpantoffel trug, der keine strengen Appelle abhielt, sondern über den Lagerlautsprecher sowjetische Soldatenchöre übertragen ließ und sonntags Sinfonien von Schostakowitsch und Prokofieff, der von seinen Gefangenen als ›Gefährten‹ sprach und die kommunistische Brüderlichkeit allzu wörtlich nahm und nicht bloß im ideologischen Sinne, ein solcher Mann behagte Karpuschin nicht.
    So reiste er früh wieder ab, ehe er sich noch mehr ärgern mußte, ohne Abschied von Major Kraswenkow, der noch schlief, denn eine seiner Weisheiten lautete: »Der Morgenschlaf ist der beste für Herz, Hirn und die Potenz!« Dementsprechend stand Kraswenkow nie vor zehn Uhr morgens auf, es sei denn, es war ein besonderer Anlaß wie die Oktoberrevolutionsfeier oder Lenins Geburtstag.
    Gegen Mittag erschien am Lagertor wieder die Kirstaskaja. Auf dem Bock des Pferdewagens saß Borja, neben ihr hockte der Kaufmann Schamow auf einem Berg von Kisten und Kartons. Leutnant Stepan Maximowitsch ließ den Karren passieren. Schamow brachte die Privatverpflegung für den Major. Doch am zweiten Lagertor, im inneren Bereich, gab's wieder den üblichen Krach. Borja mußte draußen bleiben. Die Soldaten luden die Kisten und Kartons ab. Leutnant Maximowitsch führte die Ärztin zur Kommandantur außerhalb des letzten Zaunes, der die Gefangenenbaracken umzog.
    »Bin ich ein Aussätziger, he?« brüllte Borja und stampfte hin und her, schüttelte die Soldaten an den Schultern und benahm sich wie ein liebestoller Bär. »Warum behandelt ihr mich so? Ein guter Kommunist bin ich! Ich hasse die Deutschen! Laßt mich einen Blick in ihre stinkenden Unterkünfte werfen, damit ich vor Ekel kotzen kann! Macht den Weg frei, Genossen, für einen glühenden Patrioten!«
    Es half nichts. Leutnant Stepan Maximowitsch war taub für alle Argumente. Er ließ den Schlagbaum herunter, nachdem der Wagen leer war, und ging hinüber zur Kommandantur.
    Borja heulte vor Wut. Im doppelten Boden des Wagens lagen zehn Pfund Speck, zwanzig flache Pakete Tabak und zwanzig Portionen geräucherter Rentierrücken in Gelee. Und Milchpulver hatte er mitgenommen, Eipulver und grobgemahlenen Zucker. Das alles war versteckt in diesem klapprigen, alten Bauernwagen, der noch auf hohen, unbeschlagenen Holzreifen lief. Selbst

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