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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nicht den Kreml gesehen hat, nicht das Mausoleum Lenins, nicht an der großen Kanone ›Zar Puschka‹ gestanden hat oder an der zersprungenen Riesenglocke ›Zar Kolokol‹, nicht durch das Spasski-Tor gefahren ist, oder seinen Rundgang um die Basilius-Kathedrale auf dem Roten Platz gemacht hat? Nichts war es wert, Brüderchen, ein unbefriedigendes Leben ist so etwas! Man stirbt und hat Moskau nicht gesehen! Man stirbt als armer Russe, ohne einen Blick in die Erzengel-Kathedrale geworfen zu haben. Welch ein erbärmliches Schwein ist man doch, Brüderchen …
    Gegen vier Uhr morgens suchte Semjonow sein Zimmer auf und legte sich schlafen. Dabei mußte er an der Tür Ludmillas vorbei. Unter der Ritze der Tür schimmerte noch Licht in den dunklen Flur. Er zögerte nicht vor ihrer Tür. Er ging festen Schrittes daran vorbei und schloß seine Tür mit einem harten Ruck.
    Sie ist eine Russin, dachte er. Du mußt immer daran denken …
    Ludmilla Barakowa löschte das Licht, nachdem sie die harten Schritte auf dem Flur hatte vorbeigehen hören. Mit der Faust schlug sie auf den Nachttisch. Auf was hoffe ich eigentlich, dachte sie und rollte sich in die Decke ein. Hassen will ich ihn, hassen!
    Mit einem hungrigen Tiger kann man leichter spielen als mit einer bösen Frau, sagen die Mongolen.
    Ludmilla Barakowa war keins von beiden, o nein, viel schlimmer: Sie war eine enttäuschte Frau …
    Der nächste Morgen brachte dem Lager eine Überraschung. Der neue Ingenieur kümmerte sich nicht um die Baracken, sondern war mit dem Direktor zu den Produktionsstätten gefahren. Er besichtigte die Fällerkolonnen, die Sägerei, das Furnierwerk, die Dämpferei, die Holzplätze, die Flößerufer, die Bauholzbetriebe und schließlich die Schreinerei, wo vor allem Frauen beschäftigt waren, die Fensterrahmen und Türblätter herstellten.
    Überall sprach er mit den Arbeitern der Frühschicht, hörte sich ihre Klagen an, nahm Verbesserungsvorschläge entgegen und sagte immer das gleiche: »Ich werde mich darum kümmern, Genossen! Wir arbeiten ja nicht nur für uns, sondern für den Aufbau unseres Staates.«
    »Ein Phrasendrescher wie alle anderen!« sagte jemand, als Semjonow weitergegangen war. »Ihr werdet sehen, Freunde, es ändert sich nichts. Sie sind alle nur angestellt, um gut zu fressen und dicke Haufen zu machen. Was aus uns wird, kümmert die doch einen Dreck!«
    Im Lager traf unterdessen Besuch aus Krasnojarsk ein. Distriktkommissar Jefimow, der gefährliche Jefimow, kam selbst nach Kusmowka. Dienstlich, aber auch privat. Er wollte sehen, wie sich Ludmilla Barakowa eingelebt hatte. Er hatte sich vorgenommen, heute – wenn er dazu Gelegenheit bekam – zu fragen, ob es nicht sinnvoll wäre, die Einsamkeit in Sibirien damit aufzuhellen, daß man heiratete und süße Kinderchen bekam. Jefimow wäre dann am Ziel seines Lebens angelangt: der mächtigste Mann im Gebiet von Krasnojarsk mit der schönsten Frau Rußlands. Natürlich würde Ludmilla nicht an diesem Tage ja sagen, aber sie wußte, woran sie war, und es gab ja auch keinen, der mit Jefimow konkurrieren konnte. Er war groß, fünfunddreißig Jahre alt, hatte rötliche Haare, einen gesunden Körper und eine normale Liebessehnsucht, er war nicht dumm – aber bei Gott auch kein Intelligenzler – und konnte mit einem schönen Bariton Lieder vom Don singen, kurzum, er war ein Mann, der es wert war, eine Ludmilla Barakowa heimzuführen.
    »Das ist ein hartes Problem, Ludmilla«, sagte Jefimow, als er seine Akten ausgepackt hatte und im Zimmer des Natschalniks mit der Barakowa allein war. »Die Entgleisung des Zuges bei Ajachtaska war Sabotage. Glatte Sabotage! Zwei Bolzen hatte man aus den Schienen gelöst. Die Schienen verschoben sich – und hops, waren die Wagen entgleist! Wir haben es genau untersucht. Ein Bolzen kann sich lösen, aber zwei? Es ist eine schöne Schweinerei, Ludmilla, weil ich es nach Moskau melden muß! Wie benimmt sich eigentlich dieser Semjonow?«
    »Das ist schwer zu sagen, Maxim Sergejewitsch«, antwortete Ludmilla ausweichend und vorsichtig. »Er hat ja kaum seine Koffer ausgepackt und besichtigt jetzt die Produktionsstätten.«
    »Merkwürdig ist es, daß sich ausgerechnet die Bolzen lösten, als er auf der Strecke war!«
    »Bedenken Sie, daß er im Wagen war, nicht draußen! Ein Zufall.«
    »Sabotage ist nie ein Zufall, Ludmilla!« Jefimow blätterte in seinen Papieren. »Noch nie ist auf dieser Strecke etwas passiert. Warum sollte es auch? Holz wird

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