Liebesnächte in der Taiga
weggeschafft, zu mehr ist diese Strecke nicht nütze. Aber da kommt ein neuer Ingenieur, von dem man Großes erwartet, und schon passiert etwas! Wir werden das untersuchen müssen, Ludmilla. Uns liegt viel daran, daß Semjonow gesund bleibt. Er ist ein Fachmann, auch wenn er keinerlei proletarische Manieren hat.«
»Er hat studiert, war auf der Akademie.«
Jefimow kräuselte die Stirn. »Sie verteidigen ihn sehr, Ludmilla. Er hat Eindruck auf Sie gemacht?«
»Sie kennen ihn besser als ich!« Die Barakowa trat ans Fenster. Man sollte ihre Augen nicht sehen. In ihnen lag Schwermut, wenn sie an Semjonow dachte.
Jefimow hob die Schultern. »Er war ein angenehmer Gesellschafter in Krasnojarsk. Muß man zugeben. Er brachte einen Hauch von Moskau mit, der uns alle wohlig umwehte. O Ludmilla, welch ein Leben führt man da! Wenn er erzählt … die Cafés mit den Kuchenbergen, die Modenschauen im Kaufhaus GUM, die Vorstellungen im Bolschoi-Theater … Wir leben wie die Wilden hier.«
»Ich bin damit zufrieden«, sagte Ludmilla am Fenster. Die Autokolonne kam aus den Werken zurück. Vorweg der Wagen Semjonows. Durch die Windschutzscheibe sah sie das Schimmern seiner kurzen blonden Haare. Es gab ihr einen Stich ins Herz, und sie trat ins Zimmer zurück. Jefimow hob den Kopf, als er die Autogeräusche hörte.
»Sie kommen zurück?«
»Ja. Sie können Semjonow jetzt fragen, was er von dem Bahnunfall hält.«
»Ich werde nicht darüber sprechen. Sie auch nicht, Ludmilla. Die Saboteure sitzen in der Arbeiterkolonne. Man muß sie finden, indem man so tut, als suche man sie gar nicht. Siebenundvierzig Mann waren am Vortag an der Eisenbahnstrecke beschäftigt. Wir werden jeden von ihnen genau beobachten. Und jetzt, bitte, nichts mehr davon.«
Die Begrüßung zwischen Jefimow und Semjonow war freundschaftlich. Sie gaben sich die Hand, umarmten sich, küßten sich auf beide Wangen und taten so, als hätten sie sich seit Jahren nicht mehr gesehen. Die Begrüßung der anderen Herren war kühler. Es wurde klar, daß Semjonow ein Favorit war. Man sollte es sehen.
Nach einem Mittagessen aus Milch, gesottenem Fleisch, Kartoffeln und eingemachten Heidelbeeren ging Jefimow noch mit auf Semjonows Zimmer und setzte sich dort aufs Bett.
»Ein Wort noch, Brüderchen«, sagte er und nahm mit einem Kopfnicken das Glas Wodka an, das ihm Semjonow reichte. »Ein Wort unter uns. Wie gefällt Ihnen Ludmilla?«
»Ich kenne sie kaum«, wich Semjonow genau wie Ludmilla vor zwei Stunden aus. »Sie scheint eine hervorragende Kommunistin zu sein.«
»Aber Pawel Konstantinowitsch! Wer denkt an die Weltanschauung beim Anblick dieser Frau?« Jefimow wedelte mit den Händen durch die Luft. »Ich meine: Wie sehen Sie Ludmilla als Frau?«
»Darüber habe ich überhaupt noch nicht nachgedacht, Maxim Sergejewitsch. Bis jetzt habe ich noch wenig Frauliches an ihr entdeckt. Wir hatten gleich in der ersten Stunde unserer Bekanntschaft Krach und sprechen seitdem kaum miteinander, wie Sie wohl beim Essen bemerkt haben.«
»Das ist gut, Pawel Konstantinowitsch.« Jefimow beugte sich vor. »Ich mag Sie gern, müssen Sie wissen. Sie sind für mich wie ein Bruder, bestimmt! Und deshalb wäre es schade, wenn wir uns wegen Ludmilla entzweien würden. Ich möchte sie heiraten.« Jefimow erhob sich, er tat feierlich wie in einer Kirche. »Nur Sie wissen es. Nur Sie! Nicht einmal Ludmilla! Aber ich sage es Ihnen, damit wir Freunde bleiben.«
Semjonow nickte. Irgendwie hatte er ein unangenehmes Gefühl bei dem Gedanken, Ludmilla in den Armen Jefimows zu sehen. Was geht es mich an, dachte er grob. Soll er die politische Wildkatze zähmen, wenn's ihm Spaß macht!
»Wir bleiben Freunde, Maxim Sergejewitsch«, sagte er fest. »Sie brauchen keine Befürchtungen zu haben.«
»Ich danke Ihnen.« Sie drückten sich kräftig die Hand, wie es unter Männern bei solchen Pakten üblich ist. »Sie können jederzeit auf meine Hilfe rechnen. Und ich habe viele Möglichkeiten, Ihnen zu helfen, das wissen Sie.«
Semjonow nickte wieder. Bin ich ein Judas, dachte er. Ich gebe ihm die Hand und denke dabei an Ludmilla Barakowa. Schon die Vorstellung, daß er sie heiraten könnte, macht mich unruhig. Das ist ein falsches Spiel, ich weiß es, das ist ein Verrat an mir selbst … aber da drinnen im Herzen, da ist etwas Stärkeres, wenn ich an Ludmilla denke. Stärker als Haß. Stärker als jeder Schwur. Stärker als jeder Vorsatz. Man kann ihm nicht entkommen – es sei denn, man hängt
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