Liebesnächte in der Taiga
Kommissarschule gelernt hatte.
»Iwan an Dimitri … Iwan an Dimitri … Iwan an Dimitri … Hören Sie mich?«
Dimitri schien zu hören, die Antwort zirpte im Kopfhörer, den Semjonow übergestülpt hatte. Aber dann geschah etwas Ungeheuerliches.
Semjonow funkte: »Hiermit melde ich mich ab. Hören Sie mich, Dimitri? Ich melde mich ab, vernichte alle Geräte, den Code, die Unterlagen. Grüßen Sie Otto von mir. Ich will nicht mehr. Auch an Deutschland denke ich nicht mehr. Ich bin ein neuer Mensch. Gott mit euch allen. Ende.«
Er wartete keine Antwort mehr ab. Mit einem Ruck riß er sich den Kopfhörer von den Ohren, schleuderte den Funkapparat auf die Dielen und zerstampfte ihn mit ein paar Tritten seiner schweren Stiefel. Drähte, Kondensatoren, winzige Röhren und noch winzigere Transistoren spritzten durch das Zimmer. Dann bückte er sich wieder, holte unter den Dielen den Codeschlüssel heraus und die Spezialkarten, die von den Mikrofilmen abgenommen worden waren. In einer Blechschüssel entfachte er mit den Papieren ein Feuer und zerbröselte dann die Asche zwischen den Handflächen.
Diese ganzen langen Minuten hatte ihm Ludmilla stumm zugeschaut.
Nun drehte sich Semjonow um und zeigte auf die Tür. »Zehn Schritte weiter schläft der Natschalnik. Du kannst ihn wecken. Ich halte dich nicht auf«, sagte er heiser.
Ludmilla Barakowa schluckte ein paarmal, ehe sie die Kraft besaß, zu sprechen. »Wer bist du?« fragte sie kaum hörbar.
»Von heute ab Pawel Konstantinowitsch Semjonow.«
»Und vorher?«
»Franz Heller. Ein deutscher Spion in amerikanischen Diensten.«
Ganz still war es im Zimmer. Der Eiswind sang um das Haus – wie deutlich man ihn jetzt hören konnte, obwohl es ein zarter Wind war im Vergleich zu den anderen Tagen.
»Ein Deutscher …«, stammelte Ludmilla. Ihre Zunge war schwer, als habe man Blei darauf gestrichen. »Ein Deutscher … o Pawluscha … ich hasse die Deutschen!«
Hilflos ließ Semjonow die Arme sinken. Er tappte zur Tür und stieß sie auf.
»Tu deine Pflicht, Täubchen. Ruf die Wache.«
»Ein Deutscher!« Ludmilla liefen Tränen über die Wangen. »Sie haben meinen Vater getötet, die Deutschen«, stöhnte sie. »Sie haben meinen Bruder erschossen! Sie haben meine Familie ausgelöscht bis auf mich …«
Semjonow nickte und schloß wieder die Tür.
»Die Russen haben Irena getötet, meine Braut in Riga. Nackt lag sie auf dem Boden, erstochen. Die Russen haben meine Tanten geschändet, meinen Onkel mit Peitschen erschlagen, meinen Bruder mit dem Kopf gegen die Wand geworfen!«
Ludmillas zarter Körper krümmte sich in inneren Schmerzen. Aber sie stand auf vom Bett, ging zur Tür, schloß sie ab, ging zurück zum Bett und begann sich auszuziehen, das Kleid, die Strümpfe, die Unterwäsche. Sie schlug die Decke des Bettes zurück, kroch hinein, schob mit beiden Händen die Haare aus dem Gesicht und lag dann still, wie aufgebahrt, wie ein weißes Marmorpüppchen.
»Komm, Pawluscha …«, sagte sie leise, als Semjonow starr am Fenster verharrte. »Komm … mein Mann …«
Es war gegen 10 Uhr vormittags, als General Chimkassy Oberst Karpuschin anrief. Man hörte seiner trompetenden Stimme an, daß Chimkassy den schönsten Tag seines Lebens genoß; es fehlte nur noch, daß er einen privaten Salut gegen die Zimmerdecke schoß.
»Matweij Nikiforowitsch«, schrie Chimkassy zu Oberst Karpuschin hin, »was glauben Sie, was mir hier auf den Tisch gelegt wurde? Ah, Sie können es nicht ahnen, sonst säßen Sie jetzt nicht so ruhig am Telefon und hielten den Hörer in Ihren fetten Fingern! Wie können Sie es auch ahnen? Das ist eine so phantastische Gemeinheit, eine solch herrliche Teufelei …«
»Was ist denn nun, Genosse General?« fragte Karpuschin beleidigt, denn die fetten Finger hatten ihn getroffen. »Was begeistert Sie so?«
»Ich habe soeben von einem Kontaktmann einen Wink bekommen. Einen Hinweis, direkt aus dem Hauptquartier des CIA! Können Sie sich das vorstellen, Oberst … die Amerikaner haben sich so geärgert, daß sie uns, natürlich hintenherum, einen der gefährlichsten Leute in die Hand spielen.«
Mit einem fast piepsenden Laut sprang Karpuschin hoch. »Heller?« schrie er.
»Haha! Jetzt stehen Sie auch! Auch mich hat's vom Sitz gerissen, Freundchen.« Chimkassy genoß noch eine Kunstpause, in der Karpuschin heftig zu schwitzen begann. »Jawohl, Heller! Unser Pawel Konstantinowitsch Semjonow.«
»Und wo ist er?« brüllte Karpuschin.
»In Kusmowka.
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