Liebesnächte in der Taiga
auf.
Ganz ruhig war sie, ohne Hast, ohne die leisesten Anzeichen von Panik. Nur daß alles so schnell gekommen war, das machte sie traurig. Gerechnet hatte sie damit, auch wenn sie es Semjonow nie gesagt hatte. Ob in Moskau oder Sibirien, am Eismeer oder an der mandschurischen Grenze, einmal erwischt man ihn doch. Es braucht nur eben alles seine Zeit. Und jetzt war diese Zeit kurz. Fast zu kurz.
Mit der Ruhe, mit der man große Taten vollbringen soll, ging Ludmilla ans Werk. Sie ordnete Akten, schloß ihren Bericht mit einer Unterschrift ab, ging dann hinüber in ihr Zimmer, packte einen Koffer, ging in die Wohnung Semjonows und verstaute seine wenigen Habseligkeiten in einem Packsack, schnallte, nachdem sie ihre Uniform angezogen hatte, das Koppel mit der schweren Nagan, der Militärpistole, um die schlanke Taille, ließ durch einen Transportwagenfahrer den Jeep auftanken und vorfahren, setzte sich hinter das Steuer und fuhr ab, ohne um sich zu blicken.
Der Kombinatsnatschalnik sah ihr verwundert nach und wandte sich zu seinem Sekretär um.
»Ob in Uniform oder im Kleid, sie sieht immer aus, wie man sich ein Weibchen wünscht!« sagte der Sekretär und machte Fischaugen.»Und dabei ist sie solch ein Aas …«
»Mit einem Koffer und einem Packsack ist sie weggefahren«, sagte der Natschalnik. »Was bedeutet das? Will sie länger wegbleiben?«
»Man wird sehen.« Der Sekretär verfolgte mit den Blicken die Schneewolke, die der Jeep mit den Hinterrädern aufwirbelte. »Sie spricht ja kaum mit uns, das stolze Adlerchen! Allein ihr Anblick wird uns sehr fehlen. Sie ist wie eine Sonne in dieser Öde!«
Semjonow stand vor einem der Trockenöfen, in denen die Hölzer im Schnellverfahren von ihrem Saft befreit werden, und unterhielt sich mit dem Leiter der Bretterbrigade, als Ludmilla aus dem Jeep sprang und durch den festgetretenen Schnee stampfte. Mit Erstaunen bemerkte Semjonow unter dem dicken Pelzmantel die Uniform und das Koppel mit der Nagan.
»Willkommen, Genossin Kommissar!« grüßte er deshalb und nahm sogar seine Pelzmütze ab. »Sie machen ein so ernstes Gesicht, Genossin? Was kitzelt Ihre Leber? Stimmen die Monatssolls nicht?«
»Kommen Sie mit, Pawel Konstantinowitsch!« sagte Ludmilla steif und dienstlich. »Steigen Sie ein! Ich muß Sie zum Lager bringen.« Dabei sah sie den Leiter der Bretterbrigade an und nickte ihm zu. Er wird bald ein wichtiger Zeuge sein, dachte sie zufrieden. Er wird berichten, daß ich Semjonow verhaftet habe. Wie groß wird die Verwirrung sein!
Semjonow zögerte und starrte seine Frau verständnislos an. Er stülpte die Mütze wieder über die Ohren, kratzte sich die frostblaue Nase und steckte die Hände in die Taschen seines mit Wolfspelz gefütterten Mantels.
»Ist etwas los?« fragte er.
»Fragen Sie nicht! Steigen Sie ein! Ich habe keine Zeit zu verschenken.« Ludmillas Stimme war scharf und schneidend. Der Brigadeleiter hob die Schultern, als wehe ihn ein eisiger Wind an, und suchte nach einem Grund, schnell wegzukommen, denn schlechtgelaunte Kommissare sind eine Gefahr, auch wenn man ein noch so guter Kommunist sein mag.
»Brauchen Sie mich noch, Genosse Ingenieur?« fragte er deshalb. Semjonow schüttelte den Kopf.
»Wir sprechen morgen früh weiter, Luka Iwanowitsch.«
Schnell machte sich der Brigadeleiter aus dem Staub. Er informierte das Furnierwerk, daß die schöne Hexe da sei und eine Laune habe wie ein mit Wasser ernährter Wolf. »Ich sage euch, Genossen«, rief er seinen Arbeitern zu, »die kriegt es fertig und grault uns unseren Pawel Konstantinowitsch weg! Den einzigen Mann, dem man vertrauen kann! Der ein Herz für uns hat und uns versteht.«
»Was gibt es?« fragte Semjonow draußen vor den Trockenöfen. Er hatte Ludmilla hinter die Bauten gezogen und erkannte in ihren Augen, daß große Dinge sich abzeichneten. »Hat Jefimow etwas von der Heirat erfahren? Macht er Schwierigkeiten?«
»Wir müssen weg, Pawluscha!« Sie sagte es mit gleichbleibender Stimme, völlig ruhig, so, wie man sagt: Gieß noch mal ein Täßchen Tee ein, mein Röslein. Ist er auch süß genug?
»Weg?« Semjonows Augen zuckten.
»Ich habe alles mitgenommen, was wir haben. Es ist ja nicht viel … ein Köfferchen und ein Sack. Was uns fehlt, werden wir in Kusmowka auffüllen. Wieviel Geld hast du, Pawluscha?«
»Zweitausend Rubel.«
»Ich habe tausend. Wir sind reicher als die meisten in Sibirien. Außerdem haben wir noch den Jeep, den wir verkaufen können.«
Semjonow
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