Liebesnächte in der Taiga
es sehr genau, Pawluscha.« Sie fuhr unbeirrt weiter. Die ersten Hütten von Kusmowka tauchten am Wegrand auf. Der Schnee hatte sie halb zugeweht, nur die Schornsteine qualmten und ließen den fetten grüngelben Rauch brennenden, feuchten Holzes über das Land wehen und sich ätzend in die Augen setzen.
»Du wirst es nicht aushalten können!« schrie Semjonow plötzlich mit greller Stimme. Er fiel ihr in das Lenkrad, riß den Schlüssel aus dem Zündschloß und umkrallte mit beiden Händen ihre Schulter. Er schüttelte sie wie toll, ihr Kopf flog hin und her, die Pelzmütze rutschte von ihren Haaren, wie schwarze Schleier wehten sie über ihr und Semjonows Gesicht, und die Schneeflocken stickten Perlen in das seidene Gespinst.
»Begreif es doch!« schrie Semjonow außer sich vor Qual. »Ich bin ein Deutscher!«
»Ich liebe dich, Pawluscha«, sagte sie mit fast verklärtem Gesicht.
»Ich bin ein Spion!«
»Ich liebe dich …«
Im Kaufhaus des Genossen Jassenski konnte man alles haben, wenn man es bezahlte. Vom Hosenträger bis zum Lockenwickler, vom Seidennachthemd – aus China – bis zur dicken Fufaika, der halblangen Steppjacke. Sogar französisches Parfüm gab es hier, und selbst der als fortschrittlich bekannte Jassenski grübelte darüber nach, wer wohl hier in Kusmowka an der Steinigen Tunguska, im Herzen Sibiriens, einen Flacon Soir de Paris erstehen wollte. Aber was soll man machen? Der Einkauf erfolgte zentral, die Verteilung war zentral. Irgendwo saßen ein paar idiotische Direktionsgenossen, die ihren Stenogramm-Mädchen Parfüm anbieten wollten und deshalb einen Bericht schrieben, daß die Einfuhr von Parfüm Teil des Fortschritts bedeute, und so kam es, daß die Nasen der ewenkischen Bäuerinnen oder der Rentiertreiber an geschliffenen Kristallflaschen schnupperten und sich zu der Bemerkung hinreißen ließen: »So ähnlich stinkt meine Hirschkuh Joijoij !« Genossen, es war kein Geschäft!
Bei Jassenski kauften Ludmilla und Semjonow ein. Vorher hatte sich Ludmilla umgezogen. Eine Kommissarin fällt überall auf, aber ein schwarzhaariges Vögelchen in dicker Fufaika wird kaum beachtet. Davon gibt es genug.
Sie kauften Decken und Schlafsäcke, Büchsen mit Fleisch und Fett, eingesalzenen Speck und zwei Tönnchen Heringe, warme Unterwäsche und Filzstiefel, Ohrenschützer und Fellhandschuhe aus Hundepelz, erstanden eine kleine Apotheke in einem Blechkasten, kauften Scheren und Verbandmull dazu, Arterienbinden und Salben, Schmerztabletten und Jodfläschchen, kauften Ledergürtel und dicke Seile, vier scharfe Äxte und einen ganzen Holzkasten voller Werkzeuge. Jeder zahlte runde sechshundert Rubel dafür, denn sie kauften getrennt ein, als würden sie sich nicht kennen.
Über und über mit Paketen beladen, verließen sie das Kaufhaus Jassenski. Auf der Straße sah man ihnen neidvoll nach. Sie müssen Zobel erlegt haben, dachten die Passanten. Nur wer Zobelfelle bringt, kann sich solch einen Einkauf bei Jassenski leisten.
Die Pakete luden sie in den Wagen und verließen dann Kusmowka wieder in östlicher Richtung. Sie überquerten die Steinige Tunguska auf einer schmalen Holzbrücke, deren Pfeiler jeden Morgen von Pionieren der Roten Armee freigesprengt wurden, denn sonst wären sie vom Eis längst geknickt worden wie dünne Streichhölzer, und fuhren nach Osten.
Die Straßen in Sibirien, die nicht gerade zwei Orte verbinden müssen, enden alle in den Urwäldern. Meist ist am Ende ein großer Holzeinschlag, wo die Fällerkolonnen in Blockhäusern wohnen, und wenn sich die Schneise weiterzieht unter den Motorsägen und Äxten, wächst auch die Straße mit, bis sie irgendwo auf einen anderen Weg trifft, den andere Kolonnen in den Wald geschlagen haben. Dann wird gefeiert, die Wodkaflasche geht herum und ein neuer Teil der Taiga ist erschlossen.
Semjonow holte aus seinem Packsack eine kleine Ledertasche und entnahm ihr einige Lagepläne, die er in den Wochen seiner Ingenieurtätigkeit nach Berichten und Angaben angefertigt hatte. Er hatte in dieser Karte alles eingetragen, was er einmal hätte brauchen können, wenn er, allein auf sich gestellt, durch die Taiga hätte ziehen müssen.
»Wir sind jetzt hier«, sagte er und zeigte auf einen Fleck der Karte. »Diese Straße endet bei der Außenstelle Zwölf der Fällerbrigade Kusmowkaja. Zwei Werst nördlich liegt eine Kolchose, drei Werst südlich eine Pelztierfarm. Wohin fahren wir?«
»Nach Süden, starker Bär.« Ludmilla sah hinauf in den Himmel.
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