Liebesnächte in der Taiga
»Schnei! Schnei!« rief sie. »Deck alle Spuren zu. Schnei, als wolltest du die Erde ersticken …«
Eine kindliche Freude war über beide gekommen. Nach den Stunden der nervlichen Anspannung war alle Angst von ihnen abgefallen. Sie hatten den Weg in die neue Welt betreten, und sie wußten, daß sie das Ziel nur erreichten, wenn sie stark wie der Nordwind waren und zäh wie die Föhren im Sturm.
Fast drei Stunden brauchten sie bis zu der Pelztierfarm, und die lächerlichen drei Werst, die man im Sommer hinlegt wie zum Vergnügen, wurden eine mühsame Strecke mit Schneeverwehungen, aus denen sie den Wagen immer wieder freischaufeln mußten. Streckenweise mußte Semjonow sogar den Jeep schieben oder einige Säcke unter die Räder legen, Meter um Meter, weil die Räder durchdrehten und den Schnee wegstauben ließen.
Es war schon ein schwieriger Weg, diese drei Werst, und er gab einen kleinen Vorgeschmack dessen, was sie noch erwartete.
Sie kamen an der Pelztierfarm an wie vereiste Geister, stiefelten mit starren Beinen in die warme Stube und blieben erst einmal im Dunst, den sie sofort ausströmten, stehen, ließen sich auftauen und brachen mit leisem Knacken die Eiszapfen aus den Fellmänteln.
Ilja Saweliwitsch Lagutin, der Besitzer der Pelztierfarm, saß am Tisch, aß aus einer Bratpfanne Speck und Kartoffeln, Eier und Mehlfladen, lebte also wie ein Fürst und lächelte den beiden Eindringlingen mit fettigem Mund zu.
»Chleb-sol!« sagte er freundlich, hob das Messer, zeigte auf die Holzbank hinter dem Tisch und aß weiter. Wenn ein Russe chleb-sol sagt, so ist das wie ›Gesegnete Mahlzeit‹ und lädt ein, mitzuessen.
»Erst das Geschäftliche, Genosse!« sagte Semjonow und knöpfte seinen Pelz auf. Lagutin schob die Pfanne zehn Zentimeter von sich, rülpste, was sein gutes Recht war nach einem so fetten Essen, legte das Messer hin und holte sich Kalatsch heran. Wie ein Kuchen sah das schöne Weißbrot aus, schneeweiß, locker gebacken, flaumig.
»Ihr wollt Felle kaufen?« fragte Lagutin und stieß noch einmal auf. »Speck und Eier liegen gewichtig im Magen, müßt ihr wissen.«
»Wir wollen etwas verkaufen, Freundchen.«
»Das ist schlecht.« Lagutin zog die Pfanne wieder heran. »Ich brauche nichts.«
»Aber wir brauchen einen Schlitten und ein, noch besser zwei Pferdchen. Und sicherlich haben Sie das, Genosse.«
»Wer braucht so etwas nicht?« antwortete Lagutin philosophisch. Er wies wieder mit dem Messer auf die Bank. »Setzt euch! Wenn die Pfanne leer ist … ich habe noch Piroschki im Ofen.«
»Wir haben wenig Zeit.« Semjonow trat nahe an den Tisch heran. »Sie müssen uns helfen, Bruder. Wenn Sie ein Christenmensch sind – oder Ihre Mutter war es, ihr Andenken sei uns geheiligt –, dann helfen Sie uns! Ohne Schlitten sind wir verloren.«
Ilja Saweliwitsch Lagutin begriff den Ernst der Lage. Man darf nicht denken, daß alle Russen nur mit erhobener Faust herummarschieren, Freundschaft und Fortschritt brüllen und ein Bild Lenins über dem Bett hängen haben.
»Man muß darüber sprechen, Sie haben recht«, sagte Lagutin und erhob sich ebenfalls. »Ich habe einen Schlitten. Ein Meisterwerk von einem Schlitten. Aus bestem Holz, mit bestem Stahl beschlagen, mit neuem Zaumzeug für zwei Pferdchen. Und Gäulchen habe ich … oh, zum Verlieben, zum Küssen, Brüderchen. Schnell wie der Südwind, wenn er das Eis verjagt. Ausdauernd wie ein Fuchs, wenn er eine Beute wittert. Genügsam wie ein Murmeltier im Winterschlaf. Nur …«, und hier machte der begeisterte Lagutin eine Pause, »… es gehört eben alles mir.«
»Ich habe einen Tausch vorzuschlagen«, sagte Semjonow. »Draußen steht ein Jeep. Sie kennen diesen Wagen, Genosse? Man kommt mit ihm überallhin. Der Wald wird klein, wenn Sie einen Jeep besitzen.«
»Im Sommer, Brüderchen.«
»Natürlich. Und deshalb brauchen wir jetzt einen Schlitten …«
»Verstehe.« Lagutin kratzte sich mit der Gabel den Kopf, was beweist, daß er ein praktischer Mensch war, der alle Dinge mehrfach einsetzte.
»Gehen wir hinaus und sehen wir uns das Wägelchen an. Habt ihr's gestohlen, Genosse?«
»Es wollte uns begleiten, Freundchen«, sagte Semjonow.
Man lachte, und lachende Menschen verstehen sich immer.
Später aßen Ludmilla und Semjonow auch noch Piroschki an dem langen Tisch und tranken eine Kanne voll köstlichen Kwass, ein alkoholisches Getränk, das man aus vergorenem Brot gewinnt. Es war stark säuerlich, aber es gab Kraft und Mut und regte
Weitere Kostenlose Bücher