Liebesnächte in der Taiga
die Därme an. Die Gesundheit aber liegt im Darm, das sagte schon Hippokrates.
Es war Abend, als Ludmilla und Semjonow weiterzogen, diesmal quer durch den Wald, nach Nordosten in die Einsamkeit. Mit einem schnellen Schlitten und zwei kleinen, struppigen, kugeläugigen Pferdchen davor.
Irgendwo, in der Ferne, hinter ihnen, heulten Wölfe. Dort mußten auch Menschen sein, deren Lager sie umstrichen.
Vor ihnen aber war nichts als Weite und Stille. Wälder und Schnee. Eiswind und klirrende Kälte.
Und Hoffnung.
Sagt mir, was wäre ein Mensch ohne Hoffnung …?
In der Abenddämmerung landeten zwei Hubschrauber auf dem Appellplatz des Lagers Kalinin II. Der Kombinat-Natschalnik, zwei Verwalter, der Sekretär, vier Barackenälteste rannten zum Platz, um zu sehen, was da vom Himmel herabschwebte. Ihre Neugier legte sich schnell, als sie Oberst Karpuschin im dicken Militärpelzmantel aussteigen sahen und aus dem anderen Hubschrauber den verhaßten Jefimow.
»Was sind das für Affen?« fragte Karpuschin laut und hatte damit gleich die Feindschaft aller Umstehenden auf sich gezogen.
»Dort steht der Natschalnik des Lagers«, antwortete Jefimow und zeigte auf den Direktor.
»Wo ist die Genossin Barakowa?« bellte Karpuschin. »Warum steht sie nicht auch hier? Ist sie blind?«
»Sie ist weg!« erklärte der Sekretär eilfertig. »Weggefahren. Mit dem Jeep. Dienstlich sicherlich.«
Karpuschin rückte seinen Kneifer fester auf die Nase. Er sah sich um, fand das Lager trostlos, die Menschen, die in den Türen standen, stinkend und dreckig – eine Schande für das arbeitende Volk. Mit dem Zeigefinger winkte er den Direktor zu sich. Dieser, einen solchen Lakaienwink nicht gewöhnt, reagierte nicht darauf, sondern blickte auf die sich noch immer drehenden Flügel der Hubschrauber.
»Genosse Semjonow?« schrie Karpuschin.
»Ist im Furnierwerk, Genosse Oberst«, dienerte der Sekretär. Der Direktor verzog die Mundwinkel. Welch ein Schleimscheißer, dachte er verächtlich. Welch ein Stiefelpisser! Man wird ihn mehrfach in den Hintern treten müssen, wenn dieser Besuch vorüber ist. Verdammt noch mal, es ist widerlich, wie er sich benimmt. Der Teufel soll ihn holen!
Karpuschin wandte sich um. Er sah gerade noch, wie Jefimow mit der Faust drohte und verstand plötzlich, wie schwer es ein Mann hat, der Zucht und Ordnung unter solchen Außenseitern halten soll.
»Wie weit ist es zum Furnierwerk?«
»Eine halbe Stunde vielleicht.«
»Fahren wir! Sie haben sicherlich Wagen hier?«
»Zwei SIS-Limousinen, Genosse Oberst.«
»Los denn! Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Wie eine wilde Jagd brausten die beiden schweren Wagen zum Furnierwerk. Schleudernd hielten sie vor der großen Halle, und Brigadeleiter Luka Iwanowitsch kam herbei, um zu sehen, wer da wertvolles Staatseigentum mißhandelte.
»Wo ist Semjonow?« schrie Karpuschin schon beim Aussteigen. »Mann, sehen Sie mich nicht an wie ein kurzsichtiges Kalb … Semjonow soll herkommen!«
»Er ist weg, Genosse Oberst«, stotterte Luka Iwanowitsch. Also doch, dachte er. Man will unseren Ingenieur holen!
»Weg?« Karpuschin zuckte zusammen. Der Zwicker tanzte auf seiner Nase. Auch Jefimow wurde blaß.
»Was heißt weg?« brüllte Karpuschin. »Sprechen Sie klarer, Sie Mißgeburt!«
»Er ist verhaftet worden.« Luka Iwanowitsch bezwang sich. Auch ein Oberst kann einen freien Arbeiter nicht beleidigen. Das läßt das Menschenrecht nicht zu, für das der Kommunismus kämpft. »Wir haben es alle erlebt … die Genossin Barakowa hat ihn verhaftet und in ihrem Jeep abtransportiert.«
»Sehen Sie!« Maxim Sergejewitsch Jefimow strahlte vor Stolz. »Meine Kommissarin. Sagte ich nicht: Zeigen Sie mir einen besseren Kommunisten als sie! Sie hat zugeschlagen, ehe Semjonow etwas ahnen konnte.«
»Und er hat sich von einer Frau abführen lassen?« fragte Karpuschin verächtlich. »Von einer Frau …«
»Aber von welcher Frau, Oberst! Sie kennen Ludmilla Barakowa noch nicht. Mit der Nagan schießt sie Schmetterlinge im Flug. Sie hat das Herz eines Adlers und das Gesicht eines Engels.«
»Schon gut!« Karpuschin winkte ab. Loblieder auf Frauen waren ihm verhaßt. Wer Frauen lobt, war seine Ansicht, unterwirft sich ihnen. Und Karpuschin war das Wort Unterwerfung ein Greuel. »Sie hat ihn verhaftet! Aber wo ist diese Ludmilla Barakowa? Nach logischem Denken müßte sie mit dem Gefangenen im Lager sein … oder wir müßten sie getroffen haben. Wo, zum Teufel, ist sie?«
Das war
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