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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Spirituskocher anzündete. Das ging alles so schnell, als habe sie nie etwas anderes gekannt. Dann schöpfte sie Schnee in den Wasserkessel und setzte ihn auf die kleine bläuliche Flamme.
    »Ludmilla«, sagte er heiser, mit trockener Kehle. »Bis Kusmowka sind es nur vierzig Werst. Wenn ich dir ein Pferdchen gebe, brauchst du nur wenige Stunden, bis du die ersten Menschen wiederfindest. Ich komme auch mit einem Gäulchen weiter …«
    »Schweig!« entgegnete Ludmilla hart. »Was redest du da?«
    »Morgen wird es zu spät sein, Ludmilla. Ich bitte dich, ich flehe dich an … kehr zurück!« Er rannte zu ihr, als er sah, wie sie einen Sack mit Bohnen vom Schlitten hob, ergriff den Sack, warf ihn in den Schnee und preßte Ludmilla an sich, so fest, daß ihr fast der Atem ausging. »Ich liebe dich, mein Täubchen. Ich habe noch nie einen Menschen so geliebt wie dich. Mein Gott, was wußte ich denn, was Liebe ist? Habe ich jemals Liebe kennengelernt? Als ich ein Kind war, trug ich Uniform. Mein Vater marschierte vor der SA-Standarte her, meine Mutter gab Kochunterricht in der NS-Frauenschaft. Dann der Krieg, die nächste Uniform, die graue, dann die Flucht nach dem Westen … und wieder, immer wieder die Uniform; diesmal nicht mit Schulterstücken und Koppeln, sondern mit Overalls und Gummistiefeln, mit Leinenhosen und zerrissenen Hemden. Erst in der Pfalz, dann drüben in Amerika, in den Sümpfen Floridas, in der kalifornischen Wüste, im Eisgebirge Alaskas, in den kahlen Felsen von Pueblo, im Dschungel und in der wasserlosen Prärie. Ich wurde hart gemacht, ich wurde zur Maschine, die Eis und glühende Hitze überlebt, um in deinem Land wie ein Wolf leben zu können. Aber allein, Ludmilluschka, allein … Immer und immer wieder hat man uns eingehämmert: Liebe ist Selbstmord! Lernst du eine Frau kennen, dann gib dich nur mit ihr ab, wenn sie dir Informationen bringen kann! Du bist kein fühlender Mensch mehr … du bist ein Spion! Und dann sah ich dich … den Bahndamm heraufkommen, in Uniform, während die Arbeiter um die entgleisten Wagen standen und sich anschrien. Und ich sah dich und fühlte, daß es schwer sein würde, so zu bleiben, wie man mich in schweren, bitteren Jahren erzogen hatte.« Er beugte sich herab, schälte das schmale Gesicht Ludmillas aus dem Pelz und küßte den eisigen, zitternden Mund. »Was ist daraus geworden? Ludmilla, ich flehe dich an: Kehr zurück! Laß mich allein! Vor uns liegt die Hölle …«
    »Das Wasser kocht, Pawluscha! Hörst du, wie es rauscht? Ich werde uns einen starken Tee machen und dann Bohnen mit Fleisch kochen.« Ludmilla trat einen Schritt zurück, als seine Arme sie freigaben. »Du hast doch Durst, nicht wahr?«
    »Ludmilla …« Semjonow lehnte sich an den Schlitten. »Wir werden zugrunde gehen …«
    »Ich weiß es«, sagte sie ganz nüchtern.
    »Aber du sollst leben!« schrie er.
    »Warum? Leben ohne dich, Pawluscha? Ist das ein Leben?« Sie goß das sprudelnde Wasser auf den Tee, warf dann zwei Hände voll Bohnen in einen Topf und suchte in einem Sack nach einer Fleischkonserve.
    Semjonow öffnete den Werkzeugkasten, holte den Büchsenöffner heraus, schnitt die Fleischdose auf und gab sie Ludmilla zurück.
    »Ich werde mich ewig anklagen, dich unglücklich gemacht zu haben«, sagte er, als er die Hände an dem heißen Teebecher wärmte.
    »Wieviel dummes Zeug du redest, Pawluscha.« Ludmilla lehnte sich gegen seine Brust. Sie saßen auf zwei Kisten, über die sie Hundefelle gelegt hatten. Der Tee wärmte köstlich, und aus dem Kesselchen zog der Geruch der kochenden Bohnen und des Fleisches durch die eisige Nacht. »Ich war nie glücklicher als jetzt. Die Welt, die ganze große Welt gehört uns allein! Wir sollten Gott danken, Pawluscha.«
    Den Rest der Nacht schliefen sie hinten im Schlitten, unter Decken und Fellen. Es war so warm, daß ihre Körper dampften. Ludmilla kroch aus ihrem Pelz und der Fufaika, und auch Semjonow entledigte sich seiner Kleider und schichtete sie über sich, so daß sie mehr Kälte abhielten als vier dicke Federbetten.
    Nackt lagen sie dann im Schlitten, mit heißen, schweißglatten Körpern, und ihre Hände streichelten sich, sie preßten sich aneinander und glitten wieder auseinander, und es war eine Seligkeit in ihnen und das jauchzende, schwere, beglückende Wissen, daß zwei Menschen eins sein können, so völlig eins, daß die Angst vor dem Morgen sich in die Kehle preßt, dem Morgen, an dem man auseinandergehen muß und aus einem

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