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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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würde ihn in den Hintern treten, Brüderchen!« lachte Jesseij. »Er flöge wie ein Ball durch die Luft.«
    »Siehst du. Wenn du das aber tust, sperrt man dich ein, nennt dich einen Staatsfeind, schickt dich in die Straflager nach Karaganda.« Semjonow versuchte, durch einfache Vergleiche Jesseij zu erklären, wie notwendig es war, ihm und Ludmilla Hilfe zu gewähren.
    »Du bist ein friedlicher Mensch, nicht wahr?« sagte er, und Jurij Fjodorowitsch nickte. »Und plötzlich siehst du, wie alle um dich herum von einem Krieg sprechen, wie sie riesige Raketen bauen, um die anderen Menschen auszulöschen, wie ein paar Männer die ganze Welt erobern wollen, wie sie aus einer Idee eine neue Religion machen, wie die Menschen Angst haben, nachts aus qualvollen Träumen aufschrecken und ins Leere stieren und im Herzen das große Grauen spüren: Was wird sein, morgen, übermorgen, in einem Jahr, in zehn Jahren? Überleben wir, werden unsere Kinder weiterleben können, macht man aus unseren Enkeln Asche, wird die ganze Welt zugrunde gehen? Und keiner, der diese Angst im Herzen hat, begreift, warum das alles so ist, warum die Menschen sich morden müssen, warum die Frauen und Kinder unter den Bomben sterben und die Männer sich gegenseitig die Bajonette in die Leiber rennen oder aufeinander zielen, wenn sie doch alle nur eines im Sinn haben: Frieden! Leben! Ein Feld voll wogenden Korns, ein Haus im Grünen, einen Kochtopf voll köstlich duftender, dampfender Suppe, ein Zimmerchen voll fröhlicher Kinder. Aber nein … Sie zerfleischen sich, schlimmer als die Wölfe. Aber fragst du laut: Warum ist es so, Brüder?, dann greifen sie dich, werfen dich in den Keller, foltern dich und möchten dir am liebsten das denkende Hirn aus dem Schädel reißen!« Semjonow holte tief Atem. »Siehst du, Jurij Fjodorowitsch, und deshalb sind wir auf dem Weg in eine Welt, die nur uns gehört – und wenn es ein Leben zwischen Urwald und Wölfen ist, zwischen reißenden Flüssen und wilden Bären, zwischen Felsen und Wasserbibern. Frieden suchen wir. Nichts als Frieden. Ludmilla und ich, wir wollen nichts als glücklich sein.«
    Jesseij zog die Fellkapuze wieder über seinen unförmigen Kopf. In der Ferne heulten schaurig die Wölfe. Aber sie kamen nicht mehr näher. Ihre Feigheit war stärker als ihr Hunger. Ohne Leitwolf streunten sie jetzt durch den Wald und jammerten den Himmel an.
    »Kommt mit!« sagte Jesseij. »Wir wohnen in einem Dorf mitten im Wald. Vierzehn Jäger und Frauen. Wenn ihr den anderen gefallt, könnt ihr bei uns bleiben.« Er musterte Semjonow und lächelte dann breit. »Bist ein kräftiges Kerlchen, Brüderchen. Kannst du Häuser bauen?«
    »Ja.« Semjonow begann, die Feuer zu zertreten. »Ich kann alles, Jurij Fjodorowitsch. Es kommt mir nur darauf an, daß uns niemand bei euch findet. Man sucht uns …«
    »Und ihr habt keinen umgebracht?« Jesseij sah Ludmilla aus seinen schrägen gelben Augen an. Der Blick eines Schneeleoparden war es, durchdringend und kalt.
    »Nein!« sagte Ludmilla.
    »Wir nehmen keine Mörder auf.« Jesseij ging zu den Pferdchen und begann, sie anzuschirren, während Semjonow die Decken und Zeltplanen zusammenfaltete. »Sagt die Wahrheit, Freunde.«
    »Wir schwören es dir bei Christus, Jurij Fjodorowitsch.«
    Eine halbe Stunde später fuhren sie los. Voran Jesseij mit seinem Rentierschlitten. Zur Verwunderung Semjonows fuhren sie nicht auf den Spuren Jesseijs zurück, sondern kreuz und quer durch unberührten Wald und jungfräulichen Schnee. Es ist erstaunlich, wie er die Richtung kennt, dachte Semjonow. Ein Baum sieht wie der andere aus. Die Äste hängen schwer vom verharschten Schnee zu Boden. Ein paarmal ist der Wald gelichtet, dann liegen die Stämme übereinander, mit vereisten Wurzelballen in der Luft, ausgefranste Fäuste der Natur, drohend zum Himmel erhoben, aus dem der Sturm herniederfuhr, der sie entwurzelte und aus der Mutter Erde riß … im Frühjahr, wenn der Schnee weggetrieben wurde, oder im Herbst, wenn die großen Sturmregen über das Land fegten.
    Ein paarmal drehte sich Semjonow nach Ludmilla um. Sie lag eingemummt in Felle hinten im Schlitten, den Kopf gegen eine Kiste gelehnt, und schlief. Sie hatte ein kleines, trotziges Gesicht im Schlaf, schmale Lippen und ein spitzes Kinn.
    Meine Frau, dachte dann Semjonow, und sein Herz weitete sich. Meine Ludmilluschka. Ob man jemals verstehen wird, daß ich nicht zurückwollte in den Westen? Ob man je begreifen wird, daß ich Semjonow

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