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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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bleiben will und nicht wieder Franz Heller sein möchte?
    Könnt ihr es verstehen, Freunde?
    Ihr müßt Ludmilla sehen, um es zu begreifen. Und es würde euch nicht einmal schwerfallen …
    Das Dorf, von dem Jesseij sprach, bestand aus zehn Blockhütten, einem großen Rentiergatter, einigen Gemeinschaftsställen und einer Bachquelle, die man ummauert hatte, im Winter mit Ästen abdeckte und so auch bei größtem Frost immer offenhielt. Die Häuser lagen nicht auf einer Lichtung, sondern verstreut zwischen den Bäumen. Trampelwege führten von dem einen zum anderen Haus, und wenn es nicht aus den gemauerten Kaminen gequalmt hätte und der Geruch von Sauerkohl durch den Wald gezogen wäre, würde jeder an ihnen vorbeigefahren sein, so eins waren sie mit dem Wald.
    Als sie mit schneestaubenden Schlitten vor dem ersten Haus hielten, öffnete sich die Tür. Ein kleines, krummbeiniges Weibchen humpelte heraus und stellte sich in den Weg zum Eingang. Unter der dicken Fellmütze hingen lange weiße Haare über das faltige Gesicht, und nun, als sie sprach, öffnete sich ihr zahnloser Mund wie ein Froschmaul.
    »Was soll das, Jurij?« schrie die lebende Wurzel. »Bringt Fremde mit, der Hohlkopf! Wir sitzen hier und kochen Baumrinde aus, und er bringt Fremde mit!« Die Alte starrte auf Ludmilla, aber das Lächeln der jungen Frau schien sie noch abweisender zu machen. Jetzt hüpft sie gleich vor Wut, dachte Ludmilla, von einem Bein auf das andere … rumbum … rumbum!
    Jurij Fjodorowitsch stieg von seinem Schlitten, blinzelte seinen beiden Renhirschen zu und tippte der keifenden Alten auf die Schulter.
    »Sie bleiben bei uns, Marussja. Für immer!«
    »Die Hölle hole dich!« Die Alte drehte sich um und watschelte ins Haus zurück. Jurij half Ludmilla aus dem Schlitten, und über seinem haarigen Gesicht lag Fröhlichkeit.
    »Das war Marussja Nasaroffa, mein Urmütterchen«, sagte er. »Sie freut sich, daß wir Gäste haben.«
    »Ich hab's gehört, Brüderchen.« Semjonow blieb auf dem Schlittenbock sitzen. »Wäre es nicht besser, wir führen weiter?«
    »Oh, weil sie schimpft, das Urmütterchen? Macht euch keine Sorge, ihr Lieben! Sie freut sich, glaubt es mir. Wie alt ist sie jetzt? Laßt mich nachdenken! Eigentlich muß sie so alt sein wie der Wald, denn so lange wir alle hier denken können, war sie da. Unsere Eltern hat sie schon durchgeprügelt, und man sagt, auch die Großeltern. Sie muß hundertzwölf Jahre alt sein, Freunde, ob ihr's glaubt oder nicht. Es läßt sich nicht anders errechnen. Zeit ihres Lebens hat sie nur geschimpft – wie kann sie da freundlich sein, wenn ihr kommt?« Jurij schirrte seine Hirsche ab. Sie liefen, einmal aus den Riemen, frei durch den Wald zum Gatter und zu einer Holzhürde, in der Moos und getrocknetes Gras lagen, Farne und gehobelte Baumrinden.
    »Geht schon hinein«, sagte Jesseij. »Ich bringe eure Pferdchen in den Dorfstall. Ihr müßt wissen, wir sind eine große Familie. Alles haben wir gemeinsam … die Häuser, die Herden, die Schlitten, die Waffen, die Ställe, die Rubelchen, nur die Frauen nicht, o nein, wenn ihr so etwas denken solltet! Also, geht hinein und kümmert euch nicht um Mütterchen Marussja …«
    Es war so, wie Jurij gesagt hatte. Das Urmütterchen stand am offenen, gemauerten Herd und kochte. Wie wild rührte sie in den Kesseln herum, sprach kein Wort, tat so, als sei niemand hereingekommen, aber es duftete köstlich vom Feuer her nach Fleisch, Kohl, saurer Sahne und gebräuntem Fett.
    Jurij kam herein, schüttelte sich und stieß Semjonow an, der noch immer neben der Tür stand und in seinem dicken Pelz zu schwitzen begann.
    »Zieht euch aus, Freunde! Und dann hinüber in die schöne Ecke. Streckt die Beine von euch und laßt die Gelenke knacken. Jetzt seid ihr zu Hause! Marussja, was kochst du?«
    »Schtschi!« brummte die Alte.
    »Und vergiß die gerösteten Zwiebeln nicht, Mütterchen.« Jurij warf sich auf die Holzbank. Sie ächzte und bog sich unter seinem Gewicht. Auch Semjonow setzte sich, während Ludmilla zu Marussja ging und über ihre Schulter in den Topf blickte.
    Alle aßen zusammen die Schtschi, tranken dazu Wasser, brockten als Nachtisch Kalatsch in das Kipjatok, und dann holte Jurij aus einer Ecke, in der Felle und Kleidungsstücke lagen, seine alte, am Balg oft geflickte und geklebte Bajan hervor und spielte ein wehmütiges Lied vom Jäger und dem Geistermädchen.
    Eine Bajan ist etwas Herrliches. Eine Art Knopfharmonika ist sie, beliebt bei

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