Liebesnaehe
kläglich vergeben wurde. Sie hört genau hin, diese Geräuschkulisse macht Lust, bald selbst wieder einmal in ein Stadion zu gehen, um sich ein Spiel anzuschauen. Johannes und sie, ja, sie werden zusammen gehen, sie werden sich auf der Gegentribüne in die Massen einreihen und das Paar fotografieren, das sich ein Fußballspiel anschaut.
Sie überlegt, wie sich der Abend gestalten könnte. Nach dem kräftigen Frühstück und dem guten Mittags-Menü werden sie keinen großen Aufwand für eine weitere Mahlzeit betreiben. Sie wird etwas Käse, Obst und Wein beschaffen, und sie wird sich um ein Lager für die Nacht kümmern. Sie werden im Gartenhaus übernachten, und morgen früh werden sie zusammen zurück nach München fahren. Das neue Leben! Das Leben zu zweit!
Die bloße Vorstellung dieses Aufbruchs löst derart viele Fantasien aus, dass sie unruhig wird. Sie kommt nicht mit, nein, sie kann diese Bilderflut nicht anhalten oder dirigieren, es ist am besten, wenn sie einige dieser Ideen für die Zukunft gleich aufschreibt. Aufschreiben und benennen
– das hat meist geholfen, vor allem nachts, wenn sie plötzlich wach wurde und nicht wieder einschlafen konnte. Dann hat sie sich an einen Schreibtisch gesetzt und notiert, was sie so unruhig machte, danach aber ist sie wieder ins Bett gegangen und meist sofort eingeschlafen, als hätte sich die Unruhe auf dem Papier verflüchtigt.
Also los, aufstehen, hinauf ins Gartenhaus, sich an den Schreibtisch setzen! Sie steht auf, legt das Badetuch beiseite und geht zurück. Ob er sich noch im Gartenhaus aufhält? Sie glaubt es nicht, nein, er wird ins Hotel gegangen sein, um sich noch einmal mit Katharina zu unterhalten, vielleicht bereitet er auch bereits die Abreise vor, ja, das ist möglich. Als sie das Gartenhaus erreicht, schaut sie kurz durch eines der Fenster. Er ist nicht mehr da, er ist ins Hotel gegangen, ganz wie sie vermutet hat. Sie geht hinein und zieht sich rasch um, dann setzt sie sich an den Schreibtisch und beginnt zu schreiben:
Was wir bald samstags zusammen tun werden
Am frühen Vormittag zusammen im »Poseidon« am
Viktualienmarkt Austern essen
Am späten Vormittag zwei, drei Galerien besuchen
Am frühen Mittag zusammen im »Aumeister« sitzen
Am späten Mittag auf Fahrrädern zu den Isarauen fahren
Am frühen Nachmittag ein Spiel des FC Bayern anschauen
Am frühen Abend einen Samstagabendgottesdienst in
der Asamkirche besuchen
Am späten Abend im »Franziskaner« eine Brotzeit essen
In der Nacht zusammen im Müller’schen Volksbad
schwimmen gehen …
Sie kann nicht aufhören zu schreiben, sie setzt immer wieder von Neuem an, es ist, als hätte sich das konstante, energische Schwimmen von eben in ein ebenso konstantes und energisches Schreiben verwandelt. Eine Bahn, eine Wende, eine weitere Bahn. Sie braucht keinen Moment zu überlegen, die Bilder und Fantasien stellen sich so rasch hintereinander ein, als würden sie ihr diktiert. Das beste Schreiben ist ein Schreiben unter Diktat, denkt sie, ich werde Johannes gleich morgen fragen, was er von dieser Beobachtung hält. Verstehe ich etwas vom Schreiben? Nicht viel, gerade so viel, dass es für mein eigenes Schreiben reicht. Katharina versteht mehr davon, das ahne ich, aber wir haben nur selten darüber gesprochen.
Sie spürt, wie ihre Wangen sich röten, das Schreiben erhitzt sie, so sollte es sein, denkt sie, erhitztes Schreiben, sich in Rage schreiben, so lange, bis die Ermüdung einsetzt. Wenn es sehr gut geht, bringt sie es auf zwei Stunden Schreiben ohne eine Unterbrechung, so lange hat sie heute aber nicht Zeit, nein, sie hat noch einiges vorzubereiten, für den späteren Abend und für die Nacht.
Nach einer Weile legt sie den Stift zur Seite, schiebt den Stuhl etwas zurück und atmet durch. Sie bemerkt, dass sie eine Nachricht auf ihrem Handy hat. The writer is present 3: Am Abend im Gartenhaus … , liest sie und flüstert gleich: »Ja, natürlich, ich warte auf Dich!« Sie schaut sich im Zimmer um und überlegt, wie und wo sie ein Lager für die Nacht aufbauen könnte. Dann steht sie auf und verlässt das Gartenhaus, um sich noch einmal mit Katharina zu unterhalten.
Als sie auf dem Weg zur Buchhandlung das Hotel durchquert, kommt sie an der Hotelbar vorbei. Sie schaut kurz hinein und erkennt Katharina, die in einer Ecke allein an einem Tisch sitzt. Sie lacht kurz auf, sie freut sich, sie dort zu sehen und geht gleich zu ihr.
– Na so was, sagt sie, es ist noch nicht 18
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