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Liebesnaehe

Liebesnaehe

Titel: Liebesnaehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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Uhr, und Du genießt schon den Abend?
    – Ich habe mit Johannes ein Glas Champagner getrunken, antwortet Katharina, danach hatte ich keine Lust mehr, die Buchhandlung wieder zu öffnen.
    – Und wo ist Johannes jetzt?
    – Er ist auf sein Zimmer gegangen.
    – Hast Du Lust, auch mit mir ein Glas Champagner zu trinken?
    – Unbedingt, wir sollten unbedingt ein Glas trinken. Lass mich nur machen, ich bestelle zwei Gläser.

    Sie setzt sich und wartet, bis Katharina mit zwei Gläsern von der Theke zurückkehrt. Sie stoßen an, dann fragt sie:
    – Worüber habt Ihr Euch unterhalten, Johannes und Du?
    – Er hat mir erzählt, dass Ihr morgen früh zusammen nach München zurückfahrt, in seinem Wagen.
    – Das hat er gesagt?
    – Ja, hat er. Stimmt es etwa nicht?
    – Doch, es stimmt. Wir haben nur noch nicht darüber gesprochen.
    – Auch das hat er gesagt. Anscheinend haltet Ihr Euch ja streng an Regeln.
    – Das tun wir, wir halten uns sehr streng an Regeln, bis morgen früh.

    – Ihr versteht Euch wortlos, das ist ein kleines Wunder. Oder was glaubst Du?
    – Ich will Dir sagen, was ich glaube, aber ich möchte gerne auch Deine Meinung dazu hören.
    – Also gut, dann leg los!
    – Ich erinnere mich an eine Beobachtung nach einer der ersten Begegnungen mit Johannes hier in diesem Hotel. Da hatte ich nämlich das Gefühl einer seltsamen, starken Nähe, ja, ich hatte sogar die Empfindung, er wäre mir so nah wie ein Bruder. Und genau diese seltsame Empfindung hat sich in diesen Tagen verstärkt. Ich spüre keine Fremdheit, ich empfinde keine Distanz, und ich denke manchmal, wir haben die gleichen Gedanken und arbeiten an den gleichen Projekten.
    – Soll ich Dir etwas sagen? Genau dasselbe habe ich früher in München gedacht, als ich mit Euch zusammen war. Es ist verblüffend, habe ich gedacht, wie ähnlich sich die beiden in vielen Dingen doch sind, es ist beinahe so, als wären sie Geschwister, die eine gemeinsame Kindheit und Jugend miteinander verbracht haben. Das habt ihr in Wahrheit zwar nicht, aber ein paar verblüffende biographische Gemeinsamkeiten gibt es eben doch.
    – Welche meinst Du?
    – Johannes hat seine Mutter, und Du hast Deinen Vater verloren, und beides hat sich ungefähr zu demselben Zeitpunkt ereignet. Jeder von Euch hat auf diesen Verlust heftig reagiert, und jeder von Euch hat sich eine enge Vertraute gesucht, mit der er den Verlust verarbeiten konnte. Zu dieser engen Vertrauten habt Ihr beide eine große Nähe entwickelt, ich weiß, wovon ich rede. Johannes hat mit der Zeit seine anfängliche Scheu überwunden und
in mir eine Art Ersatz für seine Mutter gefunden, und Du hast in mir eine Art Ersatz für Deinen verstorbenen Vater, aber auch für Deine Mutter, die Dir mit der Zeit fremd geworden ist, entdeckt. In den vielen Gesprächen, die wir miteinander geführt haben, sind wir uns immer nähergekommen, Johannes wurde ein guter Begleiter und Freund, und Du wurdest nach Georgs Tod meine schöne, gehorsame Tochter. Ein Dreieck der intensiven Zuneigung ist so entstanden, ein »offenes Dreieck« will ich es einmal nennen. Dieses »offene Dreieck« musste eigentlich nur noch geschlossen werden, und genau dazu habe ich den Anstoß gegeben.
    – Du?! Aber inwiefern?
    – Ich habe Euch in dieses Hotel eingeladen, Ihr seid auf meine Einladung hin an demselben Tag angekommen, und Ihr werdet an demselben Tag abreisen. Ihr kamt einzeln hier an, und Ihr fahrt zusammen wieder ab.
    – Wie bitte? Stimmt das? Du hast das alles so arrangiert?
    – Nein, ich habe das alles eben nicht arrangiert. Versteh doch, ich habe Euch eingeladen, damit Ihr Euch kennenlernen könnt, dann aber habe ich mich zurückgezogen. Ich habe weder Euren Kontakt hergestellt noch habe ich sonst in irgendeiner Weise zwischen Euch vermittelt. Keine Hilfestellungen und keine Botschaften, ich bin keine Brangäne, nicht einmal zu einem gemeinsamen Essen habe ich Euch eingeladen. Eure Annäherung habt Ihr nur Euch selbst zu verdanken, das eben ist ja das kleine Wunder.
    – Und wenn es anders gekommen wäre? Wenn wir uns nicht beachtet und immerzu aneinander vorbeigelaufen wären?

    – Dann hätte ich nichts dagegen getan, dann wäre eben alles ganz anders gekommen. Du wärst mit dem Zug und Johannes wäre mit seinem Wagen wieder zurück nach München gefahren. Ich aber hätte geschwiegen, ich hätte die Angelegenheit mit keiner Silbe erwähnt.

    Sie rückt auf ihrem Sessel nach vorn, sie presst zwei Fingerspitzen der linken Hand fest

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