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Liebesnaehe

Liebesnaehe

Titel: Liebesnaehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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Tische und die orangefarbenen Sonnenschirme. Katharina sitzt jetzt allein am Tisch, anscheinend hat Jule Danner die Mahlzeit bereits beendet. Er steckt das Notizbuch in seine Tasche, zieht die Jacke über und verlässt sofort den Raum.

10
    SIE BETRITT ihr Zimmer und streift das schwarze Kleid über den Kopf, sie hängt es in den Schrank und zieht ein weißes T-Shirt an. Dann öffnet sie die große Reisetasche und nimmt langsam und betont vorsichtig ein Gerät nach dem anderen heraus: eine Videokamera, ein schweres Stativ, eine Fotokamera der Marke »Nikon«, ein leichtes Stativ.

    Sie legt die Geräte auf das breite Bett und geht noch einmal kurz zurück an den Schreibtisch. Sie schaut auf den Bildschirm des Laptops und klickt den Musik-Ordner an. Wenige Sekunden später ist eine leise, asiatische Musik zu hören. Sie sitzt einige Minuten still und hört zu, sie schließt die Augen und hat für einen Moment eine japanische Bambusflöte vor Augen, eine von der Art, die sie sich neulich in einem Museum angesehen hat. Sie sieht ein dichtes, kompaktes Hintergrund-Grau, und vor diesem Grau erkennt sie die Flöte, als hätte sie jemand genau so ins Bild gesetzt, von der Seite beleuchtet. Es ist das Museumsbild, das sie sieht, sie erinnert sich, sie versucht, das Bild eine Weile zu fixieren, und wahrhaftig, es gelingt, sie ist hoch konzentriert.

    Sie will wieder aufstehen und sich den Geräten auf dem Bett zuwenden, als ihr der Zettel auf der Schreibmappe auffällt. Sie hält ihn mit den Fingern der beiden Hände und zieht ihn straff, sie starrt auf die Schrift, die sie bereits kennt, und schüttelt den Kopf. Sie ist ein wenig erschrocken, doch das legt sich rasch, denn sie hat ja längst gespürt, dass diese Geschichte nicht mehr aufzuhalten ist.
    Sie denkt einige Zeit nach, eigentlich möchte sie etwas notieren, doch sie tut es nicht, sondern legt den Zettel zunächst in die Schreibmappe und steht dann auf, um auch den anderen Zettel, der in der Rückenlehne der Parkbank steckte, zu holen und ebenfalls in die Schreibmappe zu legen. Sie nimmt das Briefpapier und die Briefumschläge aus der Mappe und legt die Stapel auf einen kleinen, runden Tisch seitlich. Dann geht sie noch einmal zurück zu ihrem Laptop und erhöht die Lautstärke der asiatischen
Musik: eine japanische Bambusflöte, keine Melodie, sondern ein unendlich langsames, meditatives Abschreiten eines leeren Raums, Ton für Ton.

    Als der Klang ihr Zimmer füllt, randvoll, denkt sie, gleich ist das Zimmer randvoll von diesem Schweben, gleich hebt es ab …, beginnt sie, zügig zu arbeiten. Sie baut das schwere Stativ direkt vor dem Schreibtisch auf und befestigt die Videokamera darauf, sie zieht alle Vorhänge beiseite und lässt das Licht hineinströmen. Dann postiert sie das handliche, leichte Stativ in der rechten, vorderen Ecke des Zimmers, direkt am Fenster, und richtet es auf die Außenanlage des Hotels: Die Liegestühle in Reih und Glied, die beiden kleinen Hütten an den Seiten der weiten Wiesen. Sie wischt mit einem dünnen, feinen Tuch das Objektiv sauber, sie poliert es, schließlich schaut sie hindurch und macht einige Aufnahmen: Zwei Liegestühle, die beiden Hütten, das dunkelgrüne Herbstgras der Wiesen, keine Menschen.

    Dann geht sie ins Bad, zieht das T-Shirt und alle anderen Kleidungsstücke aus und beginnt, den nackten Körper mit einer mattweißen Körper-Lotion einzucremen. Als sie damit fertig ist, tritt sie nahe heran an den Rundspiegel über dem Waschbecken, greift nach einem Lippenstift und schminkt sich die Lippen dunkelrot. Sie geht nackt und barfuß zurück in das Zimmer und blickt durch den Sucher der Videokamera. Sie verändert die Position von Stativ und Kamera noch ein wenig, dann tritt sie etwas zur Seite und schaltet die Kamera ein. Sie wartet, sie hört auf die Musik, die Kamera ist jetzt auf das breite Bett und
den grünen Bademantel gerichtet und nimmt genau dieses Bild zusammen mit der Musik auf. Nach einer Weile schleicht sie durch den Raum, öffnet die kleine Aktentasche und zieht ein schmales, kleines Buch heraus.

    Sie tritt nahe heran an das Bett und rollt sich von der Seite auf den grünen Bademantel. Dann streckt sie sich und liegt danach mit dem Rücken auf ihm, im Idealfall wird das Grün des Mantels ihren nackten Körper an den beiden Körperseiten umranden. Sie hält sich das Buch vor die Augen und liest, sie liest im »Kopfkissenbuch« einer japanischen Hofdame aus dem elften Jahrhundert, und genau das nimmt

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