Liebesnaehe
Buchhandlung ab.
– Einverstanden, das mache ich. Aber da ist noch etwas, wonach ich Dich fragen wollte. Hast Du zufällig das »Kopfkissenbuch« vorrätig? Weißt Du, was ich meine? Ich meine die Aufzeichnungen …
– Ich weiß, was Du meinst. Aber wie kommst Du darauf? Warum willst Du ausgerechnet das »Kopfkissenbuch« lesen?
– Ich erzähle es Dir später. Hast Du es vorrätig?
– Ja, natürlich, es ist eines meiner Lieblingsbücher.
– Wunderbar, dann leg es mir bis zum Mittag zurück. Bis später.
– Bis später, Johannes.
Er nimmt die leichte Nachdenklichkeit in ihrer Stimme genau wahr, Katharina bringt ihn jetzt mit Jule Danner in Verbindung, und sie beginnt jetzt darüber nachzudenken, worin diese Verbindung zwischen Jule Danner und ihm denn genau bestehen könnte. Er glaubt fest, dass sie es war, die Jule Danner das »Kopfkissenbuch« geschenkt hat, Katharina hat ein großes Faible für asiatische Bücher, und sie kennt sich vorzüglich in der altjapanischen und altchinesischen Literatur aus. Wenn er mehr über Jule Danner erfahren möchte, dann wird sie ihm dabei vielleicht helfen, er sollte aber sehr vorsichtig nachfragen, sie mag es überhaupt nicht, wenn man in solchen Dingen allzu direkt wird.
Das Mittagessen in einem Gasthof außerhalb …, genau, wie er es sich gewünscht hat. Und Katharina als Begleitung …, auch das hat er sich gewünscht. Dort draußen und außerhalb dieses Hotels wird er sich frei genug fühlen, ihr von seinem Projekt zu erzählen. Es ist höchste Zeit, dass er sich dazu entschließt, er kommt damit nicht richtig voran, in solchen Situationen war Katharina bisher immer eine große Hilfe. Sie hört zu, und sie kennt ihn gut, sie hatte schon früher oft die richtigen Ideen, die ihm einen Weg aus so manchem Engpass gezeigt haben.
Er setzt sich und öffnet den Brief. Er liest ihn langsam, legt ihn zur Seite und schaut aus dem Fenster. Sie schreibt klar und genau, diese Art zu schreiben gefällt ihm, und sie gefällt ihm umso mehr, als sie mit seinen Phantasien von Jule Danner übereinstimmt. Sie hat einen Blick für das Wesentliche und kann sich gut konzentrieren,
außerdem besitzt sie aber auch ein spielerisches, neugieriges Temperament, das auf Überraschungen aus ist. Schließlich aber ist sie wohltuend zurückhaltend und in sich gekehrt, diesen Wesenszug spürt er besonders stark, weil er ihn als einen ihm selbst sehr verwandten empfindet.
In ihrem Brief hat sie zu beschreiben versucht, wie sie das »Kopfkissenbuch« gelesen hat. Vermutet sie etwa, dass er es nicht kennt? Nein, das ergibt sich nicht unbedingt aus ihrem Brief. Sie beschreibt ihre Leseeindrücke, und sie skizziert deren Hintergründe, es ist ein sehr vorsichtiger, ruhiger und poetischer Brief, ohne eine einzige verquaste Wendung. Die Hofdame und ihr Geliebter – das ist in ihren Augen der Kern der Geschichte, ja, das versteht er. Und er versteht auch, dass Jule Danner und er begonnen haben, in die Rollen dieser Figuren zu schlüpfen, um ein schönes, ungewöhnliches Spiel des gegenseitigen Kennenlernens zu inszenieren, das ohne Worte auskommt.
Er atmet tief durch und lässt den Brief auf dem Schreibtisch liegen. Er ist jetzt so unruhig, dass er es in seinem Zimmer nicht mehr aushält. Rasch zieht er sich an, streift sich eine Jacke über und geht hinaus. Auf dem Flur ist der Reinigungsdienst unterwegs.
– Sie brauchen mein Zimmer nicht aufzuräumen oder zu säubern, sagt er zu der jungen Frau.
– In Ordnung, antwortet sie. Fehlt etwas in der Minibar?
– Nein, sagt er, es fehlt nichts, und wenn später etwas
fehlen sollte, werde ich den Zimmerservice rufen, Sie brauchen sich nicht zu bemühen.
– Dann einen schönen Tag!
– Ja, danke, Ihnen auch einen guten Tag!
Fast hätte er die junge Frau hier mitten auf dem Hotelflur umarmt, so glücklich und ausgelassen fühlt er sich. Diese verdammte Disziplin! Seit den Kindertagen hat er gelernt, seine Gefühle nicht allzu stark zu zeigen, in Andeutungen zu sprechen und die Distanz zu wahren. Fast alle, die ihn etwas besser kennenlernen, empfinden ihn als freundlich, höflich, ja sogar liebevoll. Und es stimmt ja, all diese Tugenden besitzt er wahrhaftig, andererseits führt all seine Freundlichkeit aber auch dazu, dass er viele Gefühle in extremem Maß für sich behält. So leicht nimmt er niemanden in den Arm, selbst Katharina nicht, und so leicht fragt er auch niemanden nach etwas Privatem, mag er ihn auch noch so lange
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