Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesnaehe

Liebesnaehe

Titel: Liebesnaehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
Vom Netzwerk:
Alternative die Sache ganz exakt traf. Aber sag mir noch eins: Was ist mit all den Möbeln, die früher in Deinem Elternhaus standen? Stehen sie noch immer in dieser Scheune, oder hast Du sie etwa verkauft?
    – Verkauft?! Aber nein! Nie würde ich diese Möbel verkaufen, niemals! Sie stehen noch immer in der großen Scheune, ich habe sie nie mehr angeschaut, der gesamte Nachlass meiner Eltern steht mit all seinem Drum und Dran in einem anhaltenden Dunkel, das kein einziger Lichtstrahl erreicht.

    – Und was soll damit weiter geschehen? Soll das alles weiter in der Scheune herumstehen oder was hast Du damit noch vor?
    – Nichts habe ich damit vor, was sollte ich denn auch damit vorhaben? Es schmerzt mich, das alles zu sehen, jeder Anblick dieser Möbel würde mich wieder vollkommen durcheinanderbringen.
    – Ja, das verstehe ich gut. Andererseits kannst Du sie aber nicht auf ewige Zeiten in einer Scheune stehen lassen.
    – Nein, das kann ich nicht. Im Augenblick habe ich für dieses Problem aber keine Lösung, nein, wahrhaftig nicht. Es ist auch kein Problem, das mich augenblicklich beschäftigt, ich habe ein anderes großes Problem, verstehst Du, und dieses andere, große Problem ist ein Schreibproblem.
    – Du hast ein anderes großes Problem, sagst Du …
    – Ja, natürlich, verstehst Du denn nicht: Ich habe ein ganz anderes , großes Problem. Ich bin nicht mehr frei, ich kann nicht mehr das schreiben, was ich will, ich gerate mit jedem Satz, den ich schreibe, wieder zurück in die Vergangenheit.
    – Und deshalb bist du hierhergekommen? Weil Du gehofft hast, hier wieder schreiben zu können?
    – Weil ich Dich besuchen wollte und hoffte, hier, in Deiner Nähe, wieder schreiben zu können.
    – Und? Wie weit bist Du? Was ist hier mit Dir passiert?
    – Immerhin habe ich wieder zu notieren begonnen. Ich habe Beobachtungen notiert, die nichts mit den alten Geschichten zu tun haben.
    – Du hast ein Objekt und ein Thema gefunden, habe ich recht?

    – Ach, Katharina, lassen wir das, ich möchte noch nicht darüber sprechen, es ist noch viel zu früh, und außerdem bin ich sehr durcheinander, weil ich mein neues Thema oder Objekt, wie Du sagst, noch immer mit den alten Objekten und Themen in Verbindung bringe. So ist das, und ich frage mich laufend, was ich bloß tun soll.
    – Ich denke darüber nach, Johannes, das verspreche ich Dir. Sehen wir uns heute Abend? Heute Abend, in der Hotelbar?
    – Sehr gern, heute Abend in der Hotelbar.
    – Es könnte aber sein, dass ich noch mehr von Dir wissen möchte.
    – Das könnte sein? Nun gut, ich werde mir Mühe geben, immerhin habe ich jetzt endlich einen Anfang gemacht und Dir von meinem Leben erzählt.
    – Wir haben beide einen Anfang gemacht, Johannes, ich habe Dir von meinem Leben und von Georg erzählt, und Du hast mir von Deinem Leben erzählt. Wir machen Fortschritte.

    Sie steht ebenfalls auf und geht zu ihm hinüber zur anderen Seite des Tisches, dann gibt sie ihm einen flüchtigen Kuss auf den Hinterkopf. Sie verschwindet im Gasthof, als der Kellner mit zwei weiteren großen Halben herauskommt. Als sie zurück ist, trinken sie auch diese beiden Gläser noch langsam leer. Sie sprechen nicht mehr viel miteinander, sie sitzen erschöpft in der frühen Nachmittagssonne und blicken in das Flimmern des Sonnenlichts.

    Später macht Katharina sich auf den Weg zurück zum Hotel, während er zu der schräg ansteigenden Wiese geht,
die er durch das Toilettenfenster gesehen hat. Er steigt einen schmalen Pfad hinauf bis zur Kapelle. Ihre Vorderseite ist von einer alten Malerei bedeckt, und wenn man durch das Türgitter in den Innenraum schaut, blickt man auf einen kleinen Altar, vor dem eine helle, hölzerne Kniebank steht. Auch die weiße Altarnische, in der sich ein Kreuz befindet, wird von einer Malerei eingerahmt.

    Er schaut sich alles genau an, die bunten Figuren auf den Bildern und die beiden seltsamen roten, flammenden Herzen oberhalb der Altarnische. Dann tritt er einen Schritt zurück und bemerkt die römischen Ziffern, die über der Tür stehen, er liest sie und rechnet nach, über zweihundert Jahre ist diese Kapelle schon alt.

    Die Pferde weiden ganz in seiner Nähe, er fühlt sich wohl an diesem Ort. Er wirft noch einen Blick zurück auf den Gasthof, der Biergarten hat sich nun beinahe vollständig geleert, dann legt er sich neben der Kapelle ins Gras und schließt im kühlen Schatten die Augen.

24
    SIE BETRITT ihr Zimmer, legt das mitgebrachte Buch auf

Weitere Kostenlose Bücher