Liebesnaehe
wie sie vorgehen soll.
Sie holt ihr Handy hervor und wählt die Nummer der Hotelbuchhandlung. Sie zählt laut »eins, zwei, drei«, dann hört sie, dass Katharina antwortet:
– Jule? Ich höre sofort, dass Du es bist! Eins, zwei, drei … – sei nicht so albern!
– Ich bin albern und übermütig, Katharina, ich kann mich kaum noch beherrschen.
– Aber was hast Du? Was ist denn passiert?
– Du ahnst nicht, wo ich gerade bin.
– Du bist in einem Versteck.
– Richtig, sehr gut, ich bin in einem wunderschönen Versteck, ganz in der Nähe.
– Moment, lass mich raten.
– Du kommst nicht darauf, niemand würde darauf kommen, ich bin in einem Raum, den es eigentlich gar nicht gibt.
– Jule! Was redest Du denn? Was ist denn bloß mit Dir los? Hast Du etwas getrunken?
– Ach was, aber ich werde heute Abend mit Dir etwas trinken. Wir werden feiern.
– Und was werden wir feiern?
– Dass ich diesen Raum hier gefunden habe! Es ist mein Raum, mein eigener Raum, stell Dir das vor, ich habe erst jetzt, nach so vielen Aufenthalten auf dieser schönen Insel, den richtigen Raum für mein Projekt gefunden.
Es ist plötzlich still, als sei die Verbindung gestört oder abgerissen. Sie blickt kurz auf das Display des Handys, dann ruft sie:
– Katharina, bist Du noch dran?
– Ja, meine Liebe.
– Und warum sagst Du nichts mehr?
– Weil ich weiß, wo Du bist.
– Du weißt es? Dann sag es, sag sofort, wo ich bin!
– Du bist im alten Gärtnerhaus, am vorderen Rand des dunklen Wäldchens!
Sie antwortet einen Moment nicht, sie hält das Handy in der Rechten und bemerkt, dass ihre Hand zu zittern beginnt.
– Jule?
– Ja, hier ist Jule, ich sitze im alten Gärtnerhaus, wie Du es nennst, Du hast richtig geraten.
– Und was machst Du dort?
– Ich fotografiere den Raum. Hat hier wirklich einmal ein Gärtner gewohnt?
– Ja, viele Jahre. Der alte, frühere Gärtner, der erst vor Kurzem gestorben ist und sich um das gesamte Gelände gekümmert hat, hat dort gewohnt. Als er noch lebte, durfte sich niemand diesem Haus nähern, er wollte dort allein sein, so hatte es immer etwas Geheimnisvolles.
– Ist er in diesem Haus auch gestorben?
– Nein, er ist in der Klinik gestorben. Nach seinem Tod hat sich kaum jemand getraut, das Haus zu betreten. Schließlich aber musste es ja doch einmal sein. Ich besitze ein Foto von dem damaligen Zustand des Hauses, das
Bild ist verblüffend, so schön und klar erscheint dort alles geordnet.
– Darf ich es einmal sehen?
– Ja natürlich, ich zeige es Dir heute Abend.
Sie schluckt, sie sammelt sich, sie nimmt einen Anlauf, um Katharina endlich das zu fragen, was sie die ganze Zeit wissen will.
– Katharina? Was ist jetzt mit dem Haus? Warum ist es nicht bewohnt?
– Es ist vermietet, Jule, es hat einen Mieter, der es vielleicht bald auch möblieren und dort einziehen wird.
– Nein! Auf keinen Fall! Das darf doch nicht wahr sein! Kann ich mit dem Mann sprechen? Lebt er in der Nähe? Hast Du eine Telefonnummer? Kennst Du ihn vielleicht sogar?
– Der Schlüssel des Gartenhauses ist in meinem Besitz, Jule. Ich wundere mich nur ein wenig, dass es nicht abgeschlossen ist. Ist dort alles in Ordnung? Oder hat jemand die Tür aufgebrochen?
– Ach was, niemand hat so etwas getan, es ist alles in Ordnung. Aber wenn Du den Schlüssel besitzt, musst Du den Mieter doch sehr gut kennen, Du musst , ja, Du musst ! Nun sag schon, wer ist es, und wie kann ich mit ihm Kontakt aufnehmen? Ich möchte in das Häuschen einziehen, zumindest mit einem Teil meines Gepäcks, am liebsten möchte ich sofort damit anfangen.
– Interessant. Du bist ja ganz außer Atem!
– Ja, ich bin außer Atem, Katharina! Und nun sag mir endlich, was Du weißt, sag es sofort!
Es ist wieder einen Moment still, ihre rechte Hand zittert noch immer, dann atmet sie tief durch und sagt:
– Also gut, ich versuche, mich zu beruhigen, obwohl mir das schwerfällt. Und ich bitte Dich in aller Ruhe, mir mitzuteilen, wer dieses Haus gemietet hat …
– Ich sagte ja schon, liebe Jule: Der Schlüssel des Hauses ist in meinem Besitz, und er ist in meinem Besitz, weil ich dieses Haus gemietet habe.
Sie lauscht, sie glaubt, nicht richtig gehört zu haben, Katharinas letzter Satz braucht einige Zeit, bis sie ihn ganz verstanden hat. Der Schlüssel! Die Miete! Sie kommt sich vor wie ein Kind, das mühsam einige ihm unverständliche Satzbrocken zu einem sinnvollen Ganzen zusammensetzt.
– Eins, zwei, drei,
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