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Liebesnaehe

Liebesnaehe

Titel: Liebesnaehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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sagt sie laut.
    – Jule!
    – Eins, zwei, drei, Katharina! Ich habe den Schlüssel gefunden, und ich habe den Mieter gefunden! Es ist alles ganz einfach, stimmt’s? Das Ganze ist eine vollkommen einfache, geradezu unglaublich einfache Geschichte, stimmt’s?
    – Ich habe das Haus vor kaum einem Monat gemietet, es hatte mir ja schon immer sehr gefallen.
    – Und warum hast Du es noch nicht möbliert?
    – Ich wollte nichts übereilen. Ich habe mich aber schon manchmal dort aufgehalten, allein, eine Nacht lang. Es ist wunderschön dort und vollkommen still, und am frühen Morgen glaubst Du, die Welt hier sei nur geschaffen worden, um von diesem Haus aus betrachtet zu werden.
    – Leihst Du mir den Schlüssel bis zu meiner Abfahrt?

    – Natürlich, vielleicht können wir uns das Haus ja später auch einmal teilen, da müssen wir drüber sprechen.
    – Später, später einmal! Jetzt brauche ich nur den Schlüssel, damit ich den Raum noch heute ein wenig beleben kann. Kann ich gleich in der Buchhandlung vorbeikommen, um ihn zu holen?
    – Ja, komm ruhig vorbei. Aber ich habe mit Dir noch etwas anderes Wichtiges zu besprechen. Du musst mir in einer dringenden Sache einen Rat geben. Wann hast Du Zeit?
    – Am frühen Abend habe ich Zeit. Treffen wir uns doch in der Hotelbar.
    – In der Hotelbar? … Am frühen Abend?!
    – Ja?! … Oder nein?! Dann eben woanders. Ach, ich weiß, treffen wir uns doch im Tiefgeschoss, im türkischen Bad. Ich möchte so gern dort einmal schwitzen und ausruhen und mit jemandem plaudern und die kleine Wasserfontäne plätschern hören und erleben, wie sich der Dampf auf die nackten Schultern legt. Einverstanden?
    – Ja, sehr gut, einverstanden. Aber nun komm und hol Dir den Schlüssel!

    Sie steht auf und zieht sich langsam wieder an. Wenn Katharina gewusst hätte, dass sie gerade nackt telefoniert hat – sie hätte an ihrem Verstand gezweifelt. Oder nein! Sie hätte es verstanden, ganz bestimmt, sie hätte sofort verstanden, dass sie vor lauter Begeisterung ein wenig außer sich ist.

    Sie öffnet die Tür und schaut hinaus. Es dunkelt bereits ein wenig, und ein sanfter kühler Lufthauch fällt von den Bergen her ein. Sie bleibt in der offenen Tür stehen und schaut zum Hotel. Manche Fenster der Gästezimmer sind bereits erleuchtet.

    Wo ist er? Wo mag er jetzt sein?

    Sie zieht die Tür hinter sich zu und geht am Saum des Wäldchens entlang. Sie duckt sich ein wenig, sie geht, als wollte sie um keinen Preis gesehen werden.

25
    ER LIEGT mit geschlossenen Augen im Gras und wird langsam schläfrig. Die Geräusche in seiner Nähe werden leiser, und auch von den Pferden ist schließlich nichts mehr zu hören. Die Kühle des Schattens und des hereinbrechenden Abends tut ihm gut, sie beruhigt und besänftigt ihn, denn ihm geht sehr viel durch den Kopf, und er weiß nicht, wo er ansetzen und mit welchem Detail er sich als Erstes beschäftigen soll.

    Als er es endlich schafft, sich etwas zu entspannen, sieht er sich in einem viel zu kleinen Wagen, der zudem noch hoffnungslos überfüllt ist, über eine bleiche, sonnige Landstraße fahren. Im Autoradio unterhalten sich zwei Frauen in einer Sprache, die er nicht versteht. Er drückt
auf einen Knopf, aber auch in den anderen Sendern unterhalten sich immer dieselben beiden Frauen weiter vollkommen unverständlich.

    Er hat großen Durst und will unbedingt etwas trinken, er fährt an einem Waldsee vorbei und erkennt eine Polizeistreife, die ihn auf eine Nebenstraße dirigiert. Er soll nicht anhalten, das geben ihm die Polizisten noch zu verstehen. Ihm fällt ein, dass er mit seiner Mutter telefonieren sollte, sie wartet schließlich schon lange auf ihn. Er möchte aber die Fahrt nicht unterbrechen, deshalb fährt er immer rascher, so dass das viele Gepäck, das er dabeihat, im hinteren Teil des Wagens hin und her rumpelt.

    Ein anderer Wagen überholt ihn rasant, und der Fahrer zeigt ihm den Vogel, anscheinend fährt er noch viel zu langsam. Er kann es nicht, er schafft es einfach nicht, mit diesem kleinen, hilflosen Wagen ein einigermaßen normales Tempo hinzubekommen. Er drückt mit dem rechten Fuß fester auf das Gaspedal, aber der Wagen reagiert nicht, er wird eher noch langsamer.

    Dann fährt er eine steile Anhöhe hinauf, sie führt direkt zu seinem Elternhaus, das auf der Spitze der Erhebung in einem Wäldchen liegt. Die Bäume des Wäldchens sind kahl, mitten im Hochsommer. Was ist passiert? An vielen Bäumen hängen kleine Zettel, auf

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