Liebesnöter
Unbehagen war ihr ins Gesicht geschrieben. Sie wollte diese Situation so schnell wie möglich beenden.
»Ja, dann …«, sagte Ella ratlos. Was sollte sie tun? Einbrechen und nach der Karteikarte suchen? »Vielen Dank.«
»Auf Wiedersehen!«
Anna wollte sie loshaben, das war offensichtlich.
Als Ella auf die Eingangstür zuging, sah sie in der spiegelnden Glasscheibe, wie Anna ein Handy aus den Untiefen ihres Kleides zog.
Draußen ging Ella forsch und ohne ein weiteres Mal in die Galerie hineinzuschauen die Gasse hinunter, drehte aber sofort um und suchte mit den Augen nach einem geeigneten Versteck. In einem dunklen Hauseingang, schräg gegenüber, fand sie es. Von hier aus konnte sie zwar nicht in die Galerie sehen, aber sie hatte die Eingangstür im Auge. Keine zwanzig Minuten später sah sie Anna durch die große Glastür hinauskommen. Sie hatte sich ein graues Cape übergeworfen und zog nun gegen den feinen Sprühregen die Kapuze über.
Gut so, dachte Ella, dadurch hatte sie ein eingeschränktes Gesichtsfeld, und eine Verfolgerin würde ihr nicht so leicht auffallen. Es war gar nicht so einfach, Anna im Auge zu behalten. Sie huschte durch die Gassen, schlängelte sich durch die Touristen hindurch und verschwand plötzlich in einer ebenerdigen U-Bahnstation.
Gamla stan las Ella in dem Moment, in dem der Zug einfuhr. Ja, und jetzt, dachte sie, sie hatte kein Ticket, wusste nicht, wohin, hatte schlicht keine Ahnung, was sie tun sollte. Und was machte es für einen Sinn, der Galeristin hinterherzufahren? Wer sagte ihr, dass sie sie tatsächlich zu Inger Larsson führen würde? Vielleicht feierte ihre kleine Tochter Kindergeburtstag, und sie hatte es deshalb so eilig?
Trotzdem schaute sie mit einem eigenartigen Gefühl zu, wie Anna einstieg und sich die Tür hinter ihr schloss. Sie hätte doch mitfahren sollen. Und dann einfach mit dem nächsten Zug wieder zurück. Und sich beim Schaffner dumm stellen.
Sie schaute sich um. Wo war sie überhaupt? Anhand ihres Stadtplans orientierte sie sich. Sie war am ganz anderen Ende der Altstadt. Gar nicht weit von ihrem morgendlichen Ausgangspunkt entfernt. Sie hatte das Gefühl, dieser Morgen lag schon Tage zurück. Ihre Füße taten ihr weh, außerdem waren die Schuhe durchnässt und ihre Kleider feucht. Sie sehnte sich nach warmen, trockenen Sachen. Der Weg zurück zum Hotel war nicht wirklich weit. Trotzdem hatte sie keine Lust mehr zu laufen. Und außerdem brauchte sie jemanden zum Reden. Sie musste ihre Gedanken mitteilen, sie musste hören, ob Anna wirklich so seltsam war, wie sie sie empfunden hatte, oder ob sie sich das alles nur eingebildet hatte.
Vielleicht war Anna ja wirklich nur eine ganz normale Galeristin, Mutter und Ehefrau, die es nicht leiden konnte, wenn eine Künstlerin hinter ihrem Rücken eigene Geschäfte machte? Vielleicht hatte sie auch keine weiteren Gedanken an dieses Portrait verschwendet? Oder es war alles ganz anders, und sie war tatsächlich schnurstracks zu Inger gefahren? Oder sogar zu Moritz, um ihn zu warnen?
Was soll’s, dachte sie, jetzt war es sowieso egal, sie konnte es nicht mehr ändern. Sie hielt das nächste Taxi an und ließ sich auf die Rückbank fallen.
An der Rezeption wurde Ella ein kleines Päckchen in die Hand gedrückt. Das fand sie seltsam. Wer wusste, dass sie hier war? Außer ihrem Namen und ihrer Zimmernummer stand nichts drauf. Ella schaute zu der kleinen Sitzgruppe an dem gläsernen Kamin. Sie war frei. Sollte sie sich ans Feuer setzen, sich einen cremigen Cappuccino gönnen und diesen seltsamen Umschlag auspacken, bevor sie nach oben ging? Und dann, wo sollte sie zu Abend essen? Was sollte sie überhaupt mit dem Abend anfangen? Welche Möglichkeiten gab es hier vor Ort, eine Künstlerin aufzuspüren? Irgendeine Behörde musste doch dafür zuständig sein. Einwohnermeldeamt, dachte sie. Wie das wohl auf Schwedisch hieß? Und dann musste sie sich eine U-Bahn-Karte kaufen, damit sie das nächste Mal flexibler war.
Sie setzte sich nahe an den Kamin und sah sich nach einem Kellner um. Auf den Cappuccino freute sie sich. Und dann zum Cappuccino eine dieser legendären Zimtschnecken. Wie hießen die noch mal auf Schwedisch? Kanelbulle? Das Wort war so seltsam, dass es ihr irgendwie haften geblieben war. Ein junger, hübscher Schwede nahm ihre Bestellung entgegen, und Ella legte das Päckchen erst mal zur Seite. Eigentlich wollte sie den Inhalt gar nicht kennen. Dann musste sie sich wieder mit etwas
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