Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesnöter

Liebesnöter

Titel: Liebesnöter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaby Hauptmann
Vom Netzwerk:
brauchte sie das Modell nicht zu bezahlen, und in ausländischen Galerien konnten diese Portraits verkauft werden, ohne dass der Porträtierte je darauf kam.
    Ihr wurde heiß. Das würde bedeuten, dass Inger Moritz vielleicht gar nicht kannte? War Inger die falsche Spur?
    Hatte sie ihn ebenfalls irgendwo beobachtet und einfach fotografiert? Aber er war so gut getroffen, es war nicht nur sein Äußeres, das sich in diesem Portrait spiegelte, es war sein ganzes Ich.
    »Oder wollen Sie sie nicht?«
    Ella fasste sich. Lindas Blick war erwartungsvoll.
    »Entschuldigen Sie, was möchte ich nicht?«
    »Die Figur.«
    »Die Figur?«
    Linda wies auf die Bronzefigur, die Ella noch immer in den Händen hielt.
    »Ach ja, die Figur.« Ella hielt sie hoch, um sie noch einmal genau zu betrachten, aber sie konnte sich nicht konzentrieren. »Sagen Sie, Linda, ich habe bei Inger ein sehr gutes Portrait gesehen. Sie hat ihren Vater gemalt, sagt sie. Das Portrait war nicht schön, aber hatte eine starke Ausstrahlung. Es hat mich berührt.«
    Lindas Puppengesicht bekam einen nachdenklichen Ausdruck. »Ja, ich denke, das ist ihre Stärke. Die Dinge nicht zu malen, wie sie sind, sondern wie sie sie sieht.« Sie lächelte kurz, und trotz des schummrigen Lichts des kleinen Ladens glitzerten ihre Augen. »Sie hat eine Begabung, das Verborgene aufzuspüren. Würde sie schreiben, wäre sie die Mystery-Queen.«
    »Die Mystery-Queen?« Ella war wirklich überrascht. »Warum denn das? Mystisch sah es bei ihr ganz und gar nicht aus, eher nordisch gemütlich.«
    »So wie man sich das in Deutschland vorstellt?«
    War das ein Angriff? Ella war sich nicht sicher. Sie zuckte die Schulter. »Warum nicht?«
    Lindas Lächeln schien maliziös.
    »Inger ist die Geheimnisvolle auf der Insel. Man munkelt, dort an ihrem Haus habe sich ein Mann zu Tode gestürzt. Über die Felsen ins Wasser. Um Mitternacht. Aber es hat keine Untersuchung gegeben, weil niemand vermisst gemeldet wurde. Verstehen Sie?«
    Ellas Gedanken überschlugen sich.
    »Malin ist ihr Schlüssel zur Welt. Malin ist wie eine Schwester.«
    Ella hakte nach: »Ach, ich dachte, Malin ist ihre Schwester.«
    »Vielleicht ist sie auch eine, eine Halbschwester dann. Aber das weiß nur der Vater.«
    »Der Vater? Doch eher die Mutter?«
    »Es wird nicht darüber gesprochen.«
    Ella drehte die Figur in ihrer Hand. »Das hört sich in der Tat mystisch an«, sagte sie schließlich. »Und ein Mann soll sich dort zu Tode gestürzt haben? Wegen ihr? Eine Liebesgeschichte?«
    »Niemand weiß, ob es dort je einen Mann gegeben hat.«
    Gemeldet war einer, dachte Ella sofort. »So etwas bleibt doch nicht verborgen …«
    »In den Schären bleibt vieles verborgen.«
    Ella glaubte ihr kein Wort. Sie war mit Malin befreundet, also wusste sie auch, was bei Inger vor sich ging. Sie spielte ein Spiel mit ihr.
    Ella streckte ihr die Figur entgegen. »Ich möchte sie haben«, sagte sie, um nicht nur Fragen zu stellen. »Sie gefällt mir!«
    Linda nickte. »Sie scheinen ein sicheres Gespür für meine Lieblingsstücke zu haben.«
    »Oh«, Ella zog sie wieder zurück, um sie nochmals zu betrachten. »Geben Sie die auch nicht her? Soll ich sie von Inger malen lassen?« Gute Überleitung, dachte sie.
    Linda nahm ihr die Figur ab. »Nein, schon gut, von irgendetwas müssen wir ja leben.«
    »Gibt es außer dem Vater denn noch mehr Portraits von Inger?«
    »Das weiß ich nicht. Ich habe ja ein Antiquitätengeschäft und keine Galerie.«
    Ella deutete über die Straße. »Sind Sie hier alle miteinander befreundet?«
    Linda ließ sich Zeit mit einer Antwort. Sie schaute kurz zur Straße, als ob sie jemanden erwarten würde, dann zur halb offenen Tür, dann wieder zu Ella.
    »Sie stellen ganz schön viele Fragen. Warum interessiert Sie das alles so?«
    Ja, warum?
    »Vielleicht habe ich als Kind zu viele Märchen gelesen«, fand Ella schließlich eine Antwort. Und sie hatte das Gefühl, dass sie das noch ein bisschen ausführen musste. »Ich dachte nämlich immer, dass ich zwei sei. Zwei Mädchen statt einem. Oder zwei in einem Körper. Und vielleicht hat das meinen Sinn für Geschichten angeregt.«
    »Interessant«, sagte Linda. »Ein Zwilling.«
    »Ja, vielleicht.«
    »Ja, dann eintausenddreihundert Kronen bitte, und behandeln Sie sie gut.«
    »Aber ganz sicher!«
    An der Kasse sah Ella die runden Emailleschilder mit der fauchenden Scherenschnittkatze liegen.
    Sie waren ein guter Grund, noch einmal zurückzukommen.
    Vor der Galerie

Weitere Kostenlose Bücher