Liebesnöter
verirren!« Roger deutete zum Abgrund vor dem Haus. »Dann ist man wirklich schnell abgestürzt.«
»Ich habe jetzt schon das Gefühl, dass es mich gleich wegweht.«
»Du isst auch zu wenig!«
Ach, wie schön, dachte sie, das hat Ben auch immer gesagt. Der Freibrief für die Pfunde.
Sie hatten das Haus einmal umrundet und standen wieder vor der Tür. Roger drückte auf die Klinke. Ella hielt die Luft an. Was, wenn die Tür offen war?
Sie öffnete sich nicht.
»Alle guten Holztüren in Schweden klemmen«, sagte er und drückte leicht mit der Schulter dagegen. Sie gab knarrend nach.
»Das kannst du nicht machen«, sagte Ella schnell. »Das ist Einbruch. Oder Hausfriedensbruch.«
»Gibt es dafür in Schweden ein Wort?«
Ella hielt ihn am Arm fest. »Ich meine es ernst. Wir gehen da nicht einfach rein!«
»Diese Tür ist offen, damit man reinkann. Sonst wäre sie doch abgeschlossen. Ruf einfach mal, dass wir da sind!«
Ella blieb zurück und sah zu, wie Roger die Tür öffnete und das Haus betrat. Jetzt steht er in der Küche, dachte sie, und sah die Einrichtung aus der Erinnerung vor sich.
»Was ist?«, fragte Roger über die Schulter. »Komm rein, und ruf mal kräftig nach Inger. Bei dem Sturm war die Klingel wohl einfach nicht zu hören.«
Ella biss sich auf die Lippen. Was sollte sie tun? Draußen stehen bleiben und ihn allein durchs Haus gehen lassen? Die Vorstellung war ihr unangenehm, schließlich hatte sie ihn mitgebracht. Sie gab sich einen Ruck und ging durch die Tür.
Auf dem großen Holztisch stand ein üppiger Wiesenblumenstrauß in einer wunderschönen Vase. Obwohl Ella nervös war, fiel ihr doch das Muster auf, es ähnelte dem Motiv auf ihrer Servierplatte. Waren diese blauen Blüten und Vögel vielleicht doch begehrte Sammlerstücke, und sie hatte mit der Rückgabe einen Fehler gemacht?
Die Küche war aufgeräumt und wirkte irgendwie verlassen, nur ein großer Teebecher, der umgedreht auf der Spüle stand, war ein Zeichen dafür, dass hier in den letzten Stunden jemand gewesen war. Die Tür zu Ingers Atelier stand weit offen, und Roger klopfte gegen das Türblatt, während er laut: »Hallo, Inger, sind Sie da?« rief.
Ella lief ihm schnell nach und rief nun ebenfalls nach Inger, aber auch sie erhielt keine Antwort, nur der tosende Sturm pfiff in allen Tonlagen um das Haus.
»Man versteht ja sein eigenes Wort kaum«, rief Roger. »Wie kann man so etwas auf die Dauer nur aushalten?«
»Wahrscheinlich stürmt es nicht jeden Tag«, gab Ella zurück. Sie gingen nebeneinander durch den Raum zum Wohnzimmer, das durch die große Fensterfront einen beängstigenden Blick auf das Unwetter bot. Jetzt konnte man nicht einmal mehr bis zur Klippe sehen, alles war grau, der Regen klatschte gegen die Scheiben und lief in Strömen daran herab, und bei jedem Sturmstoß schienen sich die großen Scheiben bedrohlich nach innen zu biegen.
»Hoffentlich halten die Dinger.« Roger zeigte auf den Holztisch mit den sechs Stühlen. »Hier kann man sich jetzt gut eine Henkersmahlzeit vorstellen. So im Angesicht mit den Naturgewalten würde man einen Genickschuss wahrscheinlich vorziehen.«
»Was redest du denn da?« Ella stieß ihn unsanft an.
»Ich denke nur laut vor mich hin«, gab Roger zur Antwort und drehte sich um. »Aber von Inger Larsson fehlt trotzdem jede Spur.«
»Vielleicht oben? Im ersten Stock? Dort sind doch sicherlich die Schlafzimmer.«
»Gut«, Roger nickte ihr zu. »Dann gehst du dort nachsehen. Ich kann ja schlecht in das Schlafzimmer einer fremden Frau eindringen.«
»Ach …« Jetzt musste Ella doch lächeln, wenn sie an ihr Abenteuer mit ihm dachte.
»Nein, nein.« Er winkte ab. »Keine falschen Schlüsse. Bei uns beiden war es umgekehrt …!«
Ella verzog das Gesicht. Stimmt, dachte sie. Gleichzeitig kam ihr ein furchtbarer Gedanke. »Und wenn ihr etwas zugestoßen ist? Wenn sie … dort oben liegt?«
Roger zwickte sie leicht in die Wange. »Du denkst ja schon mehr im Krimigenre als ich. Was soll ihr zugestoßen sein? Meinst du, der Mörder lauert noch auf uns?«
Sie stieß seine Hand weg. »Ach, hör auf!«
Er grinste. »Soll ich nach oben gehen?«
»Nein, ich gehe schon!« Ella fuhr sich mit allen fünf Fingern durchs Haar. »Wobei, vielleicht macht sie auch nur einen Mittagsschlaf und erschrickt zu Tode, wenn ich plötzlich in der Tür stehe. Und überhaupt … ein Schlafzimmer ist doch etwas sehr Persönliches, da kann ich doch nicht einfach eindringen.« Sie schüttelte
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