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Liebesnöter

Liebesnöter

Titel: Liebesnöter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaby Hauptmann
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sie die Klinke hinunterdrückte, sah sie sich um. Dem Taxifahrer war durch das Bootshaus die Sicht verstellt, und auch sonst konnte sie keine Menschenseele sehen. Und auch kein Tier, fiel ihr plötzlich auf. Keinen Hund, keine Katze, nicht einmal einen Vogel.
    Die Tür ließ sich öffnen. Ella dachte an den Vormittag bei Inger zurück. Tag der offenen Tür. Aber es machte ihr jetzt nichts mehr aus, einfach hineinzugehen. Gestern hätte sie das noch nicht getan, heute war gestern weit weg. Alles war anders. Sie schloss die Tür hinter sich und schaute sich um. Ein schmaler Gang führte zu einer Holztreppe, die in einem Bogen nach oben führte. Links von ihr sah sie durch eine weite Türöffnung in einen getäfelten Raum mit einem mannshohen Kamin, der fast die ganze Stirnseite des Zimmers einnahm. Sie trat ein und sah sich um. Hatte Moritz tatsächlich hier gelebt? Keine Fotografien, keine persönlichen Gegenstände, außer zwei großen Bildern an der Wand: graue Nebelgestalten, düster, mit dickem Pinselstrich aufgetragen. Das sah sehr nach Inger Larsson aus. Wo verbarg sich hier die Fröhlichkeit einer neuen Liebe? Eine tomatenrote Ledercouch war der einzige Farbklecks, sie war auf den Kamin ausgerichtet und stand mitten im Raum. Männlich karg, dachte Ella. Sehr karg. Eine weitere Tür führte in die Küche. Ella blieb im Türrahmen stehen. Hier hatte Leben stattgefunden, und zwar ganz sicherlich mehr, als Moritz wohl lieb gewesen wäre. Der massive Tisch am Fenster quoll über vor dreckigem Geschirr, halb leeren Flaschen, aufgerissenen Tüten und Brotresten. Instinktiv drehte sie sich um, aber sie war nach wie vor allein. Ein komisches Gefühl beschlich sie. So ist das also, dachte sie, wenn du nicht mehr da bist. Andere ergreifen Besitz von dem, was du dir aufgebaut hast, wo du dich sicher gefühlt hast. Nichts ist mehr etwas wert. Sie trat zurück auf den Gang und stieg die Holztreppe hoch. Oben ein offener Raum mit Regalwänden und Schränken. Eine Tür führte in ein Zimmer, wahrscheinlich war es sein zum See liegendes Schlafzimmer. Vielleicht fand sie ja dort ein paar Hinweise auf Moritz, Fotos, Dokumente, irgendwas. Sonst würde sie doch unten im Wohnzimmer den einzigen Schrank durchwühlen müssen.
    Sie betrat das Zimmer, einen lichtdurchfluteten Atelierraum. Die Fenster schauten auf den See, frei in der Mitte des Zimmers stand ein breites Bett, an den Wänden hingen große, moderne lichtblaue Bilder, und im Kontrast dazu standen zwei antike silber beschlagene Kommoden darunter. Aber auch hier war das Chaos ausgebrochen. Matratzen, Schlafsäcke, leere, zum Teil ausgelaufene Flaschen, Zigarettenstummel in halb ausgetrunkenen Gläsern. Es roch abgestanden und muffig. Dann fiel die Tür ins Schloss. Erschrocken fuhr Ella herum – und erstarrte. Hinter ihr stand ein Mann und betrachtete sie finster. Moritz? Das war ihr erster Gedanke. Aber so sehr konnte er sich seit den Portraits nicht verändert haben. Dieser hier war sehr schlank, fast schon mager und nicht so groß wie Moritz, er trug einen dunklen Dreitagebart und halb lange dunkelblonde Haare. Seine Mundwinkel waren heruntergezogen, und seine ganze Erscheinung wirkte ungepflegt. Er blieb breitbeinig vor der geschlossenen Tür stehen und verschränkte die Arme.
    Ob er auf sie losgehen wollte?
    Sie sagte nichts und wartete ab.
    Er fragte etwas, sein Ton war barsch, und es klang unfreundlich, aber sie verstand sowieso nichts.
    »Ich verstehe dich nicht«, antwortete sie freundlich auf Englisch.
    »Was tust du hier?«, wollte er wissen und bewegte sich keinen Zentimeter.
    »Was tust du hier?«, gab Ella zurück.
    Er stutzte. Vielleicht denkt er jetzt, ich sei von Scotland Yard oder irgend so was, dachte Ella.
    »Du hast kein Recht, hier zu sein, also was tust du hier?«
    »Ich möchte den Hausherrn besuchen«, gab Ella zurück. »Und du? Weshalb veranstaltest du hier eine solche Sauerei?«
    Wie eine deutsche Hausfrau, dachte sie. Furchtbar.
    »Was geht dich das an?«
    Ella ging nicht darauf ein. Angriff ist die beste Verteidigung, dachte sie. »Wo ist Nils?«
    »Wieso willst du das wissen?«
    »Wo ist der Hausherr?«
    »Hier gibt es keinen Hausherrn, das Haus ist aufgegeben.«
    Aufgegeben. Wie er das sagte. Ella lauschte nach innen. Warum nur sagte ihr Inka seit Stunden nichts? Sie war wie tot. Kein Laut, keine Regung. »Und seit wann wohnst du hier?«
    »Seit ein paar Wochen.«
    Er hatte sich noch immer nicht bewegt. »Und wer bist du?«, wollte er jetzt

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