Liebesnöter
Akku leer sein, wie ungeschickt aber auch! »Ich rufe dich später an«, schrieb sie. »Bin im Bootshaus von Moritz! Ich habe Fotos gefunden, er ist es wirklich! Er hat ein Bild über den Tatort gemalt. Unfassbar! Dass du aber auch nicht da bist!!! Ich vermisse dich so!!!«
Sie las ihre Botschaft noch mal schnell durch und drückte auf Senden . Wirklich schade, dachte sie, schade, dass sie Steffi jetzt nicht herzaubern konnte.
Sie schaute zur Tür. Kam dieser Typ schon wieder? Nein, er ließ sie in Ruhe, gut so. Sie blickte noch einmal in die Schublade. Fotos von Moritz, wie er mit bloßem Oberkörper ein Boot bearbeitete. Die Sonne brannte ihm auf den Rücken, und Ella betrachtete die ausgeprägte Muskulatur unter seiner leicht glänzenden Haut. Er war gut trainiert. Aber sein Job war natürlich auch körperlich anstrengend. Auf dem nächsten Foto saßen die beiden bei Inger zu Hause am Tisch vor der großen Fensterfront. Verschiedene Schüsseln und eine Weinflasche standen auf dem Tisch, Kerzen brannten, und die beiden hielten sich über den Tisch hinweg die Hände. Das Glück strahlte förmlich aus ihren Gesichtern. Gedeckt war nur für zwei. Wer aber hatte das Foto gemacht? Sie schaute noch einmal auf das Bild. Moritz schien so glücklich.
So einer begeht doch keinen Selbstmord, dachte sie. Vielleicht hat er bei Inger die Therapie gefunden, die ihm bei der Verarbeitung seiner Vergangenheit half, schoss ihr durchs Hirn. Was für ein Scheißwort für einen Mörder. Nehme ich ihn jetzt schon in Schutz? Verdrängen, müsste es heißen. Er hat wohl mit Ingers Hilfe angefangen, die Tat erfolgreich zu verdrängen, sie mit düsteren Bildern aufzuarbeiten und mit einer Runde Sex abzuschließen.
Ella warf die Fotos zurück in die Schublade. Sie besann sich und zog eines wieder heraus: das Foto, auf dem er das düstere Seemotiv malte. Das würde sie doch sehr gern Inger zeigen. Und der Galeristin in Frankfurt. Und am besten auch gleich noch einem Psychiater.
Sie schloss die Schublade und ging in den Vorraum zurück. In der eingebauten Schrankwand befand sich eine rot lackierte Tür. Ella machte sie auf. Das Badezimmer. Eine Wanne auf Füßen mitten im Raum, weiße Fenstersprossen und die Wände ebenfalls rot lackiert. Ah, dachte sie, ist ja witzig gemacht. Aber auch hier lagen Badetücher und ausgedrückte Zahnpastatuben wahllos auf dem Boden verstreut. Ist nicht meine Baustelle, dachte Ella und schloss die Tür wieder. Sie öffnete eine Schranktür. Jeans und T-Shirts, ordentlich gestapelt. Fast militärisch, fand Ella. Im nächsten Schrank hingen Hosen, viele Hemden und einige Jacketts. Eines davon zog sie heraus. Dunkelblau, eher elegant. Zu welchen Anlässen er so etwas wohl getragen hat, der Herr Nils Andersson? Dann folgte ein Wäscheschrank. Wäsche, sieh mal an. Oben lagen Bettbezüge in sehr kräftigen Farben, darunter welche in gedeckten Tönen und schließlich ganz unten die farblich passenden Laken. Je nach Lust und Laune, dachte Ella. Und auch in verschiedenen Stoffen. Flauschig weich, seidig kühl. Alles vorhanden. Schon seltsam, sie kannte keinen Mann mit derartig viel Wäsche. Als sie die Tür gerade schließen wollte, entdeckte Ella eine Papierecke. Eine alte Rechnung, war ihr erster Gedanke, sie zog daran und hob gleichzeitig die Bettdecken etwas an, damit das Papier nicht zerreißen würde. Es war aber keine Rechnung, es war die Rückseite eines Fotos. Ein Foto zwischen Bettlaken, dachte Ella, das konnte nur eines bedeuten: Es war ein Sexfoto. Hatte sie überhaupt das Recht, es umzudrehen und anzuschauen? Sie betrachtete die Rückseite. Fortlaufende Zahlenketten waren aufgedruckt, und mit verblassender Kulischrift hatte jemand »Nur wir zwei« darauf geschrieben. Eine weiche Handschrift, keine männliche. Ella schaute sich die Wäsche noch einmal genauer an. Irgendwie sah das alles schon sehr weiblich aus. Aber Moritz war doch zu Inger gezogen und nicht umgekehrt? Hatte hier vorher schon eine Frau gelebt?
Sie drehte das Foto um und erstarrte.
Steffi! Sie lag nackt in einem Bett, ein Sektglas in der Hand.
Steffi. Es gab keinen Zweifel, es war Steffi.
Ella spürte einen Luftzug und schaute sich schnell um. Nein, es stand niemand hinter ihr, obwohl sie ständig damit rechnete, dass jemand auftauchen könnte.
Dann schaute sie das Foto genauer an. War es von damals? Nein. Wie achtzehn sah sie nicht mehr aus – und dieses Foto war definitiv vor nicht allzu langer Zeit aufgenommen. Ella erkannte es an
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