Liebesnöter
Muster. »Dann kann ich mich ja hineinlegen«, grinste sie und entschied sich für den dunkelblauen Pullover. Und den grauen für ihre Mutter. Und einen Schal als jederzeit zu tragende Erinnerung. Und dann musste sie mit ihrer EC -Karte bezahlen, weil ihr Bares längst nicht ausreichte.
»Puh«, sagte sie, nachdem sie wieder auf der Straße standen, »jetzt hat sich die Jacke erledigt.«
Roger legte im Gehen den Arm um sie. »Ich habe sowieso keine schöne Jacke gesehen.« Er drückte sie an sich. »Die holen wir in Paris.«
»In Paris? Zusammen mit deiner Frau?«
»Ich verrate dir jetzt mal ein Geheimnis: Ich bin nicht verheiratet, nicht mal liiert.«
»Aber du hast doch …«, entrüstet schaute Ella zu ihm auf.
»Reine Vorsichtsmaßnahme. Und außerdem hast du mir das ständig unterstellt. Ich habe das nie behauptet.«
»Oh!!!!« Ella knuffte ihn in die Seite. Nicht schlecht, fand sie.
Es war so warm, dass sie sich in einem Café unter einer alten Linde noch einen Cappuccino gönnten, wo Ella das rote Seidenpapier zurückschlug und ihre neuen Schätze bewunderte.
»Also Paris«, sagte sie dann.
»Warum nicht?«
Sie dachte an Ben und an ihren Job.
»Und wohin?«
»Ich habe eine große Wohnung. Mitten in Paris im sechsten Arrondissement.«
»Aha, und das heißt?«
»Saint-Germain.
Ella überlegte. »So ganz schlecht scheint es dir als – ja, als was denn eigentlich? – nicht zu gehen.«
»Auch das habe ich nie behauptet«, er grinste. »Deshalb muss ich mich ja auch so ein bisschen schützen, es könnte ja jede kommen …«
»Und ich bin nicht jede?«
»Nein«, er küsste sie auf die Stirn. »Offensichtlich nicht. Kannst du dich an das Lied erinnern, das ich dir gleich am ersten Tag geschenkt habe?«
»Am zweiten.«
»Am ersten!«
»Schon am ersten? Natürlich erinnere ich mich. Sie von Charles Aznavour.«
»Du warst von Anfang an etwas Besonderes für mich!«
»Und wie lange?« Sie sah ihn von der Seite an und wusste selbst, wie verletzlich sie in diesem Moment war.
»Wie lange schon? Von der ersten Sekunde an.«
»Wie lange wird es dauern?«
»Müssen wir das heute entscheiden?«
Ja, am liebsten, ja, dachte Ella.
»Lass uns sehen, wie sich unsere jungen Gefühle entwickeln …«
Ella überlegte. »Frankfurt–Paris«, sie zuckte die Achseln. »Ich schätze mal um die sechshundert Kilometer. So rund sechs Stunden Fahrt, wenn man sich an das Tempolimit in Frankreich hält.«
»Ich habe das schon gegoogelt.« Er legte seine Hand auf ihre. »Weniger als vier Stunden im ICE und TGV und für neununddreißig Euro zu haben.«
»Schnäppchenjäger, was?«
»Wer im Kleinen spart … du weißt schon.«
»Hm.«
»Aber ich will eigentlich gar nicht, dass wir immerzu quer durch die Lande sausen.«
»Sondern?«
»Dass du dich einfach bei mir einnistest. Dann werden wir schon sehen.«
»Und wenn es nicht passt, gehe ich wieder?«
»Oder ich.«
Ella musste lachen. »Du aus deiner eigenen Wohnung … das stelle ich mir besonders spannend vor. Und mein Job? Meine Wohnung?«
»Die vermietest du unter. Und Immobilien? Gibt es in Paris auch. Und zwar jede Menge!«
»Mit welcher Leichtigkeit du das sagst.«
»Worauf willst du warten? Dass wir uns jahrelang beschnuppern und dann herausfinden, dass es doch nicht passt? Das können wir schneller haben.«
Ella schüttelte den Kopf. »Und meine Freunde? Mein Leben?«
»Willst du, oder willst du nicht?«
Ella sah ihn an. Seine Hand auf ihrer fühlte sich gut an. Ruhig, warm, beschützend. Warum eigentlich nicht? Was konnte schon passieren? Wenn es nicht passte, ging die Welt auch nicht unter, und sie wäre aber um eine Erfahrung reicher. Sie war vierunddreißig Jahre alt, wenn sie jetzt keine Lust auf ein Abenteuer hatte, wann dann? Mit fünfzig bestimmt nicht mehr.
»Ja!«, sagte sie.
»Na, das ist doch mal ein Wort!« Roger küsste sie über den kleinen Tisch hinweg. »Und nur, um das auch zu klären: Meine Familie besitzt einen großen Verlag, wir produzieren Filme und halten Anteile im Verlagswesen. Mein langweiliger Bruder und ich sitzen in der Geschäftsleitung, er ist der Zahlenmensch, und ich bin Mädchen für alles, habe Medien studiert, bin Vollblutjournalist, Drehbuchautor und mein eigener Geldgeber. Bist du jetzt beruhigt?«
»Beruhigt?« Sie sah ihn zweifelnd an. »Und du klaust mir nicht meine Geschichte?«
»Sie ist verlockend, aber ich werde sie dir nicht klauen.« Er grinste. »Vielleicht kann ich auch noch meinen eigenen
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