Liebesschmarrn und Erdbeerblues: Roman (German Edition)
hatte, wenn ich einen Maikäfer sah. Vergessen waren Sabine und ihr boshafter Blick. Und ich kam zu der Erkenntnis, dass Mutter Natur stets unendlich viele Glücklich-Macher für uns bereithielt, wenn wir sie brauchten. Und die waren sicherlich besser als jede Droge und noch dazu ohne Nebenwirkungen. Wir mussten nur unsere Augen dafür offen halten. Und unser Herz.
Die Zeit bis Mitternacht verging wie im Flug, mit viel Musik, kabarettistischen Einlagen und einem faszinierenden Feuerwerk.
Ich hatte mich mit einem Glas Wasser auf die Bank unter dem Flieder gesetzt. Nur noch ein paar Minuten und ich wäre dreißig. Bisher hatte ich mir über diese Zahl und was das so mit sich brachte keine Gedanken gemacht. Und sosehr ich mich auch bemühte, auch jetzt fand ich den Gedanken weniger erschreckend als die Vorstellung, bis zum Rest meines Lebens einen Tanga tragen zu müssen. Ich konnte gar nicht verstehen, warum viele meiner Bekannten so eine Panik wegen einer runden Zahl hatten.
Vielleicht sollte ich aber auch langsam damit anfangen, vor dem Spiegel die Elastizität meiner Haut zu prüfen? Oder Krafttraining zu machen, damit ich die Fettverbrennung meines Körpers ankurbelte, die angeblich ab dreißig nachließ? Aber das hörte sich alles viel zu anstrengend an. Ich beschloss, vorerst einfach so weiterzumachen wie bisher. Mit meiner Fettverbrennung war ich derzeit noch zufrieden. Und an meinem Gesicht herumzupfen konnte ich später immer noch.
Gleich war es Mitternacht. Ich fand es sehr schade, dass Claudia nicht gekommen war. Auch am Handy war sie nicht zu erreichen. Die letzten Jahre hatten wir immer zusammen in unser neues Lebensjahr reingefeiert. Ich griff in meine Handtasche und holte Eisi heraus. Er zumindest würde bei mir sein. Sozusagen als Claudias Stellvertreter.
So in meine Gedanken versunken hatte ich gar nicht bemerkt, wie ruhig es plötzlich geworden war. Die Musik war aus, und die Gäste standen alle auf und neben der Tanzfläche. War etwas passiert? Ich sprang von der Bank hoch. Da kam der Minotaurus auf mich zu und bat mich lächelnd, ihn zu begleiten. Was sollte das denn jetzt werden?
Ich steckte Eisi wieder in die Tasche und folgte meinem Sternzeichen.
Auf der Tanzfläche standen alle Ehrengäste, und auch Claudia war endlich da. Pünktlich zu Mitternacht.
»Wo warst du denn?«, fragte ich sie leise.
»Meine Eltern sind überraschend zu Besuch gekommen. Ich konnte nicht früher weg«, flüsterte sie mir zu.
So war meine beste Freundin. Familie ging Claudia immer über alles. Dafür verspätete sie sich sogar zur angesagtesten Party des Jahres.
Severin Bayerl nahm ein Mikrofon und bat die Gäste um Ruhe.
»Liebe Freunde, liebe Maiengäste. Es ist mir wieder einmal ein außerordentliches Vergnügen, euch um mich zu haben. Heute will ich euch aber nicht mit einer langen Rede beglücken. Denn jetzt ist Mitternacht und zwei unserer Gäste haben Geburtstag. Claudia Zanolla und Lene Koller! Das Alter verrate ich natürlich nicht … Herzlichen Glückwunsch, ihr beiden.« Er drückte zuerst Claudia an sich und küsste sie auf die Wange, dann mich. Allerdings viel länger als Claudia. Was er mir dabei ins Ohr flüsterte, hätte ihm fast eine Ohrfeige eingebracht. Endlich ließ er mich los.
Die Gäste klatschten, Musik begann zu spielen, und gleichzeitig stiegen weiße und blaue Raketen in den Abendhimmel. Vier junge Männer schritten den beleuchteten Weg entlang und trugen unter dem Applaus der Gäste eine riesige Torte heraus, die mit weiß-blauen Zucker-Rauten verziert war. Ich war total baff. So gigantisch hatten Claudia und ich unseren Geburtstag noch nie gefeiert …
Drei Gläser Champagner und unzählige Geburtstagsküsse später brauchte ich dringend ein paar Minuten Auszeit. Im Badezimmer kühlte ich mein vom Tanz erhitztes Gesicht mit kaltem Wasser, schaute mich im Spiegel an und lächelte. Es war eine aufregende Nacht. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass sie gleich noch viel aufregender werden würde.
Ich war auf dem Weg zurück in den Garten, da kam Michi mir im Flur entgegen. Er sagte nichts, nahm mich nur an der Hand und zog mich ins leer stehende Wohnzimmer der Bayerls. Der Raum auf zwei Ebenen hatte die Ausmaße eines Ballsaals. Überall standen Severins Kunstwerke herum, zwischen bequem aussehenden Sesseln völlig unterschiedlicher Stilrichtungen und einer gewaltigen Ledergarnitur.
»Michi? Du hast mich entführt!« Ich kicherte. Der Alkohol war mir doch schon ein
Weitere Kostenlose Bücher