Liebesvisitation (German Edition)
barmherzigste und liebevollste Vorstellung die man von Gott haben kann? Wenn Gott uns nur erschaffen hat, damit wir glücklich sind? Das wäre doch fantastisch.“
„Wäre das nicht etwas wenig?“, fragte das Mädchen skeptisch.
„Was denn noch?!“, wollte Christian wissen. „Und für was sollte Gott uns auch brauchen? Wir leben, um Spaß zu haben. Wofür sonst? Glaubst du, Gott braucht uns?“
„Schöne Philosophie, Christian“, lobte Judith. „Wir leben zum Spaß.“
„Moment mal“, wandte Frank ein. „Es gibt einen Unterschied zwischen ‚nur zum Spaß zu leben‘ und ‚leben, um Spaß zu haben.‘“
„Wenn wir Gott Spaß machen, wäre es ja nicht das Schlechteste, oder?“, meinte Markus. „Nicht, dass Gott das Kabarett niederreißt, wenn es ihm nicht mehr kurzweilig genug ist.“
„Ha! Wenn das so ist, wäre es wohl richtiger zu sagen: ‚Die Welt, welche die Bretter bedeutet‘, und nicht ‚Die Bretter, die die Welt bedeuten“, amüsierte sich Judith.
„Wer ist Gott? Woher kommt die Welt?“ Ich würde schon gerne alles wissen“, sinnierte Thomas.
„Wenn wir alles wissen würden, dann würde es aber auch nie wieder was Neues geben“, wandte Markus ein.
„Das ist wahr. Was für eine verblüffende Erkenntnis!“, wunderte sich Thomas.
„Sagt mal: Wir kennen uns schon seit 15 Jahren, aber ich weiß gar nicht, an was ihr glaubt“, wandte sich nun Judith an Thomas und Markus.
„Tja, gläubig sind wir schon“, erklärte Markus. „Christentum mit Mischglauben, so würde ich es umschreiben.“
„Sonst wärst du wohl auch nicht schwul. Das heißt, du würdest es nicht ausleben, beziehungsweise es dir wahrscheinlich gar nicht eingestehen“, resümierte Judith. „Dabei sind viele Dinge doch schon von biblischer Seite ganz normal: Die Kinder von Adam und Eva mussten Inzest begehen, um sich fortzupflanzen, und Gott hat Adam und Eva nackt erschaffen, und sie schämten sich erst für ihre Nacktheit, als der Teufel sie verführt hatte, vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen zu essen. So wie Gott mich geschaffen hat, da kann ich nichts dafür. Aber für das, was ich anziehe schon. Nackt ist also theologisch gesehen viel sicherer.“
„Als Frau kannst du aber auch nicht befreit Christin sein“, folgerte Markus. „Da würde man doch immer den Kürzeren ziehen. Mädchen ziehen immer den Kürzeren.“
„Das kommt darauf an, in welche Hose sie fassen“, kokettierte Christian.
„Danke Christian. Dein Budget an philosophischen Erkenntnissen ist für heute wohl aufgebraucht“, stellte Judith fest.
„Schenk du uns ein bisschen Seligkeit, Judith“, ermutigte Christian sie. „Zur Rolle der Frau im weltlichen und im kirchlichen Sinne.
„Ich glaube nicht, dass es weniger Kriege gäbe, wenn es nur noch Frauen auf der Welt gäbe. Frauen und Männer sind wie aneinander gelehnte Karten. Wenn man die eine wegnimmt, würde die andere umfallen, deshalb schafft sie sich selbst einen Ausgleich. Die Frauen würden die zweite Karte bilden. Sie würden die Rolle der Männer mitübernehmen.“
„Sicher auch umgekehrt. Wenn ich mir meinen geliebten Markus angucke“, witzelte Thomas.
„Ha ha . Du elender Darwinist.“
„Ich kann gar kein Darwinist sein. Ich bin schwul.“
„Was hat das damit zu tun? Auch ein schwuler kann Darwinist sein. Sogar mehr als ein Hetero! Er entscheidet sich ja immer für einen Mann.“
„Oha! So gesehen bin ich als schwuler also automatisch Darwinist. Auch das noch!!!“
Nach dem Essen ging Judith zu einem der Mirabellenbäume am Fluss, aber sie erreichte die Früchte nicht, weil die unteren Äste schon abgepflückt waren.
„Dafür bin ich doch da“, ging ihr Albert zur Hand und pflückte die schönsten Früchte in der Mitte des Baumes.
„Du bist so groß und ich so klein. Du hättest mir ruhig ein paar Zentimeter abgeben können.“
„Ich hätte da ein paar Zentimeter für dich.“
„Du willst wohl verbotene Früchte kosten.“
In diesem Moment hörten sie ein Rascheln und sahen einen Schemen hinter einem der Bäume.
„Hey, ist das nicht Anna?“, mutmaßte Judith.
„Tatsächlich!“, pflichtete Albert bei.
Anna versteckte sich hinter einem der Bäume. Als sie in ihre Richtung blickten, zuckte sie zusammen und duckte sich.
„Anna! Wir haben dich gesehen! Komm raus“, rief Judith.
Anna lief eingeschüchtert aus ihrer Deckung und kam auf sie zu.
„Ich hab mich nicht vor euch versteckt, ich hab nur ausgekundschaftet, ob Ralf
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