Liebhaberstück Xenia (German Edition)
!“, rief Thorsten. „Bitte!“
Ich drehte mich um.
Thorsten wandte sich an seine Patientin. „Frau Berenz, Sie können jetzt zurück in Ihr Zimmer gehen. Ich komme morgen zur Visite, und dann besprechen wir alles Weitere.“
Sie erhob sich. „Vielen Dank, Herr Doktor. Vielen Dank auch für Ihren … Therapieversuch, Frau Spatz!“
„Keine Ursache“, entgegnete ich, als sie an mir vorbei aus dem Büro ging.
So schnell schaute ich gar nicht, da war Thorsten schon bei der Tür, schloss sie, kaum, dass Frau Berenz draußen war und lehnte sich dagegen, wohl um mir den Fluchtweg zu versperren.
„Gehst du mit mir essen, Kleines, dann können wir den Fall b esprechen?“
Langsam schlenderte ich zurück in Richtung Schrei btisch, um so zu tun, als würde ich nicht an Weglaufen denken. „Da gibt es nichts zu besprechen. Ich kann das Ganze mit einem Satz zusammenfassen: Ich kann dieser Frau nicht helfen.“
„Warum nicht?“ Er kam mir nach. „Dieser Krebspatie ntin damals konntest du ja auch helfen, und die war viel schlimmer dran. Und ich liege doch richtig damit, dass die Ursache für die diversen Krankheitsbilder von Frau Berenz irgendwo in der Psyche verbuddelt ist, oder? So viele unterschiedliche Symptome, die alle keine gemeinsame Ursache haben. Ist das nicht psychisch? Und kann man es dann nicht psychisch heilen?“
Ich nickte. „Das ist alles schon richtig. Aber ich kann di eser Frau trotzdem nicht helfen.“
„Warum nicht?“
„Weil sie ihre Krankheit braucht.“
Seine Augenbrauen hoben sich fr agend. „Was?“
„Hast du nicht gemerkt, wie sie um ihr Kranksein g ekämpft hat? Wie sie jeden meiner Vorstöße in Richtung Heilung abgeschmettert hat? Sie braucht ihre Krankheiten.“
Thorsten lehnte sich neben mich an den Schreibtisch. „Willst du mich jetzt verarschen, oder was? Wer braucht schon Arthrose im Knie?“
„Du Schulmediziner, du!“ Ich schenkte ihm ein nachsichtiges Lächeln. „Du musst zwischen ihren Worten lauschen. Du hast sicher bemerkt, dass Frau Berenz nicht unbedingt die Alleraktivste ist. Als ältestes Mädchen musste sie in der Landwirtschaft genauso mitarbeiten wie ihr großer Bruder. Das lag ihr sicher nicht. Die Alternative entdeckte sie schon damals zufällig durch ihren Gelenkkapselriss, der sie außer Gefecht setzte. Mit Gips fiel sie für die schwere Arbeit auf dem Feld und im Kuhstall aus, musste sich aber sicher im Haushalt nützlich machen. Und durfte so ihre Hobbys pflegen: Kochen und Handarbeit. Später in ihrer Ehe hat sie sich zur Sicherheit noch ein allergisches Asthma zugezogen, um ja nicht mehr in den Kuhstall zu müssen.“
„Du willst damit andeuten, dass sie sich aus lauter Faulheit all diese Krankheiten zurechtgebastelt hat? Die Röntgenbilder sagen aber, die Arthrose ist echt. Und auch der ganze andere Scheiß, den sie bisher hatte.“ Er rückte um eine behutsame Unauffälligkeit näher zu mir.
Genau so beiläufig glitt ich ein Stück von ihm weg, orientierte mich schon mal unverfänglich in Richtung Tür. „Das ist ein langjähriger Prozess und sehr wahrscheinlich nicht bewusst. Eine ewige Wechselwirkung aus Zipperlein, Bewegungsmangel, Übergewicht, schlaffen Muskeln und dadurch noch mehr Belastung auf die Gelenke, Arthrose, noch mehr Bewegungsmangel, noch mehr Übergewicht, der Stoffwechsel in den Gelenken wird noch schlechter durch den Bewegungsmangel, noch mehr Arthrose, und so weiter.“
„Und jetzt kommt sie nicht mehr runter von dem Trip? Aber jetzt kann sie doch damit aufhören. Keiner triebt sie mehr in die Arbeit.“
„Noch was anderes kommt dazu.“ Wieder ein unmerkl iches Stück in Richtung Tür. „Als eins von sechs Kindern bekam sie nie genug Beachtung. Außer, wenn sie krank war. Und das will sie heute, da sie allein ist, auch noch damit erreichen. Ein alter Mechanismus, den sie nie abgelegt hat. Als ich ihr das wegnehmen wollte, hat sie mich panisch bekämpft.“
„Das hast du alles gecheckt aus diesem kurzen Gespräch mit ihr?“ Täuschte ich mich, oder hörte ich so etwas wie Bewund erung aus seinem Worten heraus? „Dann kann ich nichts tun, außer sie immer mal wieder zu operieren? Nur damit sie Ansprache hat?“
„Du kannst sie in irgendeine Arthrose-Selbsthilfegruppe oder so was schicken, wo sie sich ausjammern kann unter Gleichgesinnten und Beachtung findet.“
Nachdenklich kratzte er sein Kinn. „Ja, das wäre was.“
„Das ist natürlich keine Garantie, dass sie sich nicht doch wieder in
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