Liebhaberstück Xenia (German Edition)
woanders wiederkommen. An der anderen Brust beispielsweise oder sonst wo?“ Bei Tante Lisbeth war es im Gehirn gewesen.
„Relativ häufig, das gebe ich zu.“ Ein Hauch von Uns icherheit wagte es, des Doktors Selbstgefälligkeit zu verdunkeln. Und seine Stirn in Falten zu legen.
Da konnte ich ansetzen: „Wissen Sie überhaupt, wie eine Frau sich fühlt, wenn ihr eine Brust abgeschnitten wird? Schneiden Sie sich eins Ihrer Eier ab, Herr Doktor, dann wissen Sie es!“
Oh, verdammt, ich wurde wieder rot, aber das musste einfach raus!
Seine Augen weiteten sich ungläubig, dann verengten sie sich gefährlich. „Glauben Sie vielleicht, ich operiere nur aus so Spaß? Weil ich sonst nichts anderes zu tun habe, als Frauen die Brüste abzuschneiden? Ich habe mir Ihren Unsinn jetzt lange genug angehört! Diese Patientin hier wurde mir überwiesen. Und Sie, Xenia, haben hier gar nichts zu melden, oder sich überhaupt einzumischen! Ich entscheide hier!“
„Oh, natürlich!“ Mein Tonfall wurde unbeabsichtigt be ißend. „Sie sind ja der Herr Gott-in-Weiß und haben die Allmacht bereits mit der Muttermilch aufgesogen! Aber Sie entscheiden hier gar nichts! Oder ist Frau Drechselmeister bereits entmündigt worden?“
„Nein !“, rief Frau Drechselmeister.
„Dann nehme ich an“, fuhr ich fort, „dass Frau Drechselmeister noch immer selbst entscheidet, was mit ihr gemacht wird, oder täusche ich mich da?“
„Verdammt, Xenia!“ Schwungvoll nahm er die Füße vom Schreibtisch und beugte sich vor.. „Ich dulde das nicht! Bei einem multiplen Karzinomwachstum mit Neigung zur Metastasierung ist die Mastektomie das einzig Richtige!“
Gegen meinen Willen stahl sich eine ungute Menge an Hohn in meine Worte: „Nun haben Sie es mir aber geg eben mit Ihren Fachausdrücken! Gestatten Sie, dass ich kurz anbetend niedersinke! Aber zum Glück kann ich auch ein bisschen mithalten. Verstehen Sie etwas von der Stress-Physiologie, Herr Doktor, oder haben Sie in der Vorlesung gefehlt?“
„Ich verstehe davon mindestens so viel wie Sie, nehme ich mal an!“ Seine Laune schien nun auch recht strapaziert. O ffenbar war er an derartige Fragen nicht gewöhnt.
„Aber sicher doch, Herr Doktor! Dann wissen Sie ja wohl auch, dass Stress eine Ausschüttung von Cortisolverbindungen im Körper bewirkt, welche die Abwehrkräfte schwächen, wodurch sich Krebszellen verstärkt ausbreiten können?“
„Klar weiß ich das !“, schnappte er.
„Und wie, Herr Doktor, würden Sie das Stresspotential bei einer Frau deuten, der eine Brust abgeschnitten wird? Eher niedrig oder eher hoch?“
„Dr. Messinger hat gesagt, in meinem Alter soll ich nicht mehr so eitel sein!“, mischte sich die Patientin ein.
„Was für ein ignoranter Idiot!“ Ich lief um Frau Drechse lmeister herum, um mich abzureagieren. Dann blieb ich stehen und schaute dem Doktor ins Gesicht. „Eine Frau fühlt sich dann nicht mehr als richtige Frau. Sie ist todunglücklich und nervlich am Ende.“ Wie Tante Lisbeth. „Dieser Stress macht sie anfällig für weiteres Tumorwachstum, und Sie haben selbst gesagt, Herr Dr. Hartmann, dass die Rückfallquote hoch ist. Woher kommt das wohl?“
„Und Sie wissen wohl dafür ein Patentrezept ? Mit Ihrem Schamanismus-Blabla für Anfänger etwa?“
Ich stützte meine beiden Hände auf den Schreibtisch und fixierte der Doktor unnachgiebig. „Immer noch besser als Ihr metzgerha ftes Jetzt-schneiden-wir-erst-mal-alles-weg-und-dann-sehen-wir-weiter-Credo!“
„Gehen Sie nicht zu weit, Xenia!“ Die Spannung, die als unausgesprochene Bedrohung von ihm ausging, schickte mir einen Schauer über den Rücken.
Es klopfte an der Tür.
„ Was?“, brüllte Hartmann ungehalten und freute sich sogleich mit sichtlicher Häme über mein schreckhaftes Zusammenzucken.
Die Tür öffnete sich , und ein drahtiger Mann in grünem OP-Outfit kam herein. Es war der Mann, der schon letztes Mal hereingekommen war, als ich beinahe auf diesem Schreibtisch gelegen hatte. „Hallo Thorsten, hier sind die Röntgenbilder von Frau Drechselmeister, die du gewollt hast. Oh, hallo, Xenia!“
Überrascht blinzelte ich . „Sie wissen, wie ich heiße?“
„Jeder hier in der Klinik kennt Sie inzwischen.“ Er reic hte mir seine Hand, die ich abwesend nahm. „Ich bin Dr. Arndt. Was verschafft uns die Ehre Ihres Besuches?“
„Gib endlich die Bilder her, Rüdiger !“, knurrte Hartmann. „Sabbern kannst du später.“
Einer spontanen Idee folgend fragte ich:
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