Liebhaberstück Xenia (German Edition)
mir?“
„Natürlich! Seit Ihrer Warzenbesprechung sind Sie Gesprächsthema Nummer eins. Kommen Sie, gehen wir zu Frau Drechselmeister!“ Sie setzte sich in Bewegung mit dem rasanten Schritt einer Krankenschwester, die sich im Laufe ihrer Berufserfahrung ein redliches Ich-bin-auf-Zack-Selbstbild aufgebaut hatte.
Ich folgte ihr. „Was hat Frau Drechselmeister für ein Pr oblem?“
„Tumore in der Brust“, erklärte Schwester Margot. „Dr. Messinger hat bereits eine OP angeordnet, und seitdem ist die Patientin panisch.“
„ Tumore? Da kann ich wahrscheinlich auch nichts tun. Das Krankheitsgeschehen ist zu tiefgreifend und komplex.“
„Hauptsache, Sie sagen es ihr selbst und b eruhigen sie.“
„Na schön!“
Wir stiegen in den Aufzug, und Schwester Margot drückte den Knopf mit der 3. War das nicht die Chirurgie? Die Tür öffnete sich im dritten Stock.
Natürlich war es die Chirurgie! Wohin hätte sonst die für eine OP bestimmte Patientin gebracht werden sollen?
Oh, nein!
Vielleicht hatte er keinen Dienst, vielleicht war ein anderer Chirurg zuständig. Schließlich liefen hier genug Ärzte herum, oder etwa nicht?
Schwester Margot klopfte an die Tür eines Büros, das mir noch sehr lebhaft in Erinnerung war.
Oh, nein!
Eine Männerstimme knurrte ein unwirsches „Ja!“
Oh, nein!
Schwester Margot öffnete die Tür nur einen Spalt und lugte hinein. „Entschuldigung, Herr Doktor, Frau Drechselmeisters Beistand ist hier.“
Damit schob sie mich ins Zimmer und s chloss die Tür. Ich hörte ihre Auf-Zack-Schritte dynamisch davoneilen.
„Xenia!“ Vor Verblüffung klappte Thorsten Hartmanns Unterkiefer heru nter.
„Sie sind Xenia?“ Eine schlanke Frau Mitte fünfzig mit rotblond gefärbtem Pagenkopf erhob sich von dem Stuhl, der vor des Doktors Schreibtisch stand, schwebte mir entgegen und schüttelte mir innigst meine zögerliche Rechte. „Danke, dass Sie kommen konnten!“
Thorsten Hartmann hatte sich schneller wieder gefa ngen als ich. „So gern ich Sie sehe, Xenia, aber was zum Teufel wollen Sie hier?“
Das wusste ich selbst nicht so genau.
Die Frau, die ziemlich sicher Frau Drechselmeister war, setzte sich wieder auf ihren Platz und beugte sich zu Hartmann. „Sie ist gekommen, um mir zu helfen, Herr Doktor. Wie hat die Schwester sie gerade genannt? Einen Beistand? Ja, das klingt gut. Xenia ist mein Beistand!“
Des Doktors Augenbrauen zogen sich zusammen. „Meine Patienten brauchen keinen Beistand. Ich beiße n iemanden.“
„Xenia kann ohne Skalpell heilen“, wusste die Patientin. „ Dann ist die Operation unnötig, Sie werden sehen! Seit einem halben Jahr beschäftige ich mich mit Esoterik. Da ist so viel möglich, was man sich gar nicht vorstellen kann!“
Innerlich stöhnte ich auf. Schon das Wort „Esoterik“ hasste ich! Das klang so nach den Selbstverwirklichungsorgien gelangweilter Frauen in den Wechseljahren, denen die Aquarellierkurse in der Toskana zu fade geworden waren.
„Ich weiß nicht, ob ich Ihnen wirklich helfen kann, Frau Drechselmeister“, betonte ich.
Sie drehte sich zu mir herum. „Bitte versuchen Sie es wenigsten! Sie haben doch Manu auch geholfen, als die Ärzte sie schon aufgegeben hatten. Sie sind meine einzige Hoffnung!“ Damit brach sie in Tränen aus.
Erpresst von ihrer Verzweiflung trat ich einen Schritt näher an sie heran und fühlte mich verpflichtet zu fragen: „Was fehlt Ihnen denn, Frau Drechselmeister?“
Da kein Stuhl mehr frei war, blieb ich stehen . Hartmann dachte nicht daran, mir seinen anzubieten. Im Gegenteil. Er lehnte sich in seinem Chefsessel zurück und überkreuzte die Füße arrogant auf dem Schreibtisch.
„Der Herr Do ktor hat gesagt, es sind Tumore in der rechten Brust“, schluchzte die Frau. „Und weil man nicht weiß, ob nicht noch mehr wachsen, will der Herr Doktor die Brust amputieren.“ Nun weinte sie noch ungehaltener.
„Das habe ich Sie nicht gefragt“, erklärte ich milde. „Ich habe Sie gefragt, was Ihnen fehlt. Sie haben mir gesagt, was Sie h aben.“
Vor Verwunderung vergaß Frau Drechselmeister das We inen.
Das war wenigstens etwas!
„Kommen Sie, Xenia!“ Hartmann lächelte mit herablassendem Wohlwollen. „Ersparen wir uns doch diesen Psycho-Scheiß! Es handelt sich um eine klare Diagnose. Verdammt, einer der Tumoren wächst infiltrativ! Die Amputation ist notwendig.“
Seine Überheblichkeit fraß sich in mein Selbstwertgefühl. Ich unterdrückte jedoch mein Missfallen, weil ich mich
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