Liebhaberstück Xenia (German Edition)
„Hat Frau Drec hselmeister die Bilder schon gesehen?“
„Nein“, brummte Hartmann.
„Haben Sie ihr das genaue Aussehen und die genaue Größe der Tumoren beschrieben?“
„Nein, aber was soll das Gequa tsche?“
Sogleich schnellte ich zu Frau Drechselmeister herum und fixierte sie wie gerade eben den Doktor, mein Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. „Wenn Sie an die Tumoren denken, die Sie quälen, was sehen Sie?“ Großmutter hatte das auch immer so gemacht.
Sie riss vor Schreck die Augen auf. „Ich weiß nicht!“
„Was sehen Sie?“, fuhr ich sie an, um eine unverfälschte Reaktion zu bekommen.
„Zecken !“, stieß sie hervor. „Ich sehe drei Zecken.“
„Wie sehen Sie aus?“
„Zwei sind gleichgroß, eine ist kleiner, aber die kleinere hat lange Tentakeln!“ Sie schüttelte sich. „Ich habe mich mein Leben lang gefürchtet vor Zecken. Sie sind widerlich.“
„Und jetzt schauen wir uns mal die Röntgenbilder an“, schlug ich Dr. Arndt vor.
Er hob fragend die Augenbrauen, ging zum Röntgenbildbetrachter, schaltete das Licht ein und stieß routiniert die beiden Aufnahmen in die Halteleiste.
Die Bilder zeigten die Weichteil darstellungen der Brust in zwei Ebenen. Bei der Frontalaufnahme sah man sie am besten, die drei hellen Punkte, zwei davon groß wie vollgesogene Zecken, die andere etwas kleiner. Nun war die Genugtuung ganz auf meiner Seite. Ein so genaues Ergebnis schockte selbst mich.
„Verblüffend !“, wunderte sich Dr. Arndt.
„Sie überraschen mich echt, Xenia !“, murmelte Dr. Hartmann gedehnt. Und lauter zu seinem Kollegen: „Und die CT-Bilder?“
Da sieht man auch nicht mehr“, erwiderte der Angespr ochene. „Nur alles etwas deutlicher. Besonders die Tentakel am kleinen Tumor.“ Sein Kopf ruckte in meine Richtung. „Wie machen Sie das, Xenia? Bisher hielt ich die Gerüchte über Sie für übertrieben, aber jetzt…“ Er redete nicht weiter, schüttelte nur den Kopf.
Kurz gönnte ich mir die Befriedigung, so zu tun, als hätte ich genau dieses Ergebnis erwartet und lächelte huldvoll. Dann nahm ich mir Frau Drechselmeister vor: „Ich will, dass wir jetzt die drei Zecken infizieren mit der Zeckenpest!“
„Zeckenpest ?“, hauchte die Frau.
„Ja, die Zeckenpest ist eine tödliche Seuche, die immer mehr um sich greift und ganze Zeckengenerationen ausro ttet“, erfand ich gerade. „Ich habe jetzt die Zecken, die Sie quälen, infiziert mit diesem Virus. Und ich möchte, dass Sie sie beobachten! Jeden Tag. Tun Sie das?“
„Ja.“ Sie nickte heftig. “Ja.“
„Sie müssen die Biester jeden Tag anschauen und zusehen, wie sie schwächer werden, ihre Bewegungen sich verlangsamen, wie sie kein Blut mehr saufen können, weil ihre Mundwerkzeuge“, eilig korrigierte ich mich, „ihre Tentakel verfaulen. Ich will, dass Sie zuschauen, wie die Zecken vertrocknen und kleiner werden, bis sie ganz zu Staub zerfallen. Und dann, Frau Drechselmeister, wischen Sie den Staub weg. Werden Sie das tun? Jeden Tag?“
„Ja! Das werde ich tun und ich werde auch mein Denken ändern, meine Brüste schön und heil sehen, wie Sie gesagt haben!“ Sie erhob sich. „Ich danke Ihnen, Xenia! Danke.“
Rasch drückte ich sie zurück auf ihren Stuhl. „Das ist noch lange nicht alles!“
„Nicht?“
„Nein. Beim Krebs – und das ist jetzt das letzte Mal, dass wir davon reden oder auch nur daran denken – fallen die betroffenen Zellen in ihren embryonalen Zustand zurück und teilen sich wie verrückt. Und wuchern unkontrolliert. Weil der gesamte Mensch – Sie, Frau Drechselmeister – seine Ordnung verloren hat. Meine Großmutter hat viele Frauen gesehen, die daran gestorben sind, und nur wenige haben sich geheilt. Und diese wenigen haben alle eins gemacht, was Sie auch machen müssen: Sie müssen Ihre Lebensumstände total verändern. Wo wohnen Sie?“
„In Berlin.“
„Wo wollten Sie schon immer wohnen?“
„Eigentlich träumte ich immer davon , eine Pension an der Ostsee zu eröffnen, aber das sind nur Hirngespinste…“
Ich konnte nicht zulassen, dass sie weiterdachte. „Wo a rbeiten Sie?“
„Als Sekretärin in einem Autohaus.“
„Kündigen Sie!“
„Was?“
„Kündigen Sie heute noch! Haben Sie Ersparnisse?“
„Ich habe etwas angelegt für den R uhestand, aber…“
„Wie ist Ihre Ehe?“
„Nun ja, normal.“
„Also langweilig. Fahren Sie an die Ostsee und eröffnen Sie Ihre Pension! Haben Sie die Verantwortung für Ki
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