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Liebling der Götter

Liebling der Götter

Titel: Liebling der Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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untersetzte und außergewöhnlich unerotische Figur verschwamm direkt vor Jasons Augen und wurde länger und weniger breit. Und dann war sie plötzlich nicht mehr da, sondern statt dessen stand Mary vor ihm; und man sah, daß Sharon nie wirklich existiert hatte, so wie ein Anzug jegliche echte Bedeutung verliert, sobald der Mensch, der ihn getragen hat, nicht mehr in ihm steckt.
    »So ist’s recht«, sagte Mary.
    »Sei nicht so verdammt herablassend«, gelang es Jason zu grummeln; aber das kam nicht vom Herzen, da es bereits anderweitig in Beschlag genommen war.
    »Entschuldigung«, sagte Mary, »das wollte ich nicht. Hör mal, Sharon ist jetzt verschwunden, und zwar ein für allemal. Sie hat ihren Zweck erfüllt, weißt du? Jetzt bin nur noch ich da.«
    ›Nur noch ich‹ hörte sich aus ihrem Munde wie ein Widerspruch in sich selbst an. Dennoch glimmte der dünne Strahl der Verwirrung immer noch wie ein ferner, durch dichten Nebel gesehener Leuchtturm in seinen Gedanken.
    »Sharons Zweck bestand darin, dich schön wütend zu machen, so wie du es jetzt bist«, erklärte Mary gerade. »Das ist der Beitrag, den du leisten mußtest. Deine Mum hatte nicht die leiseste Ahnung, wer Sharon war; ebensowenig Jupiter. Nein, Sharons ganzer Sinn bestand darin, daß du ihren Anblick, ihre widerliche, winselnde Stimme und ihr ewiges Herumgenörgele derart satt bekommen würdest, um schließlich den Mumm zu haben, dich von der Macht im Himmel und auf der Erde zu befreien, die dich zu beherrschen vermag.«
    Jason runzelte die Stirn. »Du meinst Jupiter?«
    »Nein.«
    »Prometheus? Gelos?«
    Mary schüttelte den Kopf. »Nein, deine Mutter.«
    Darüber dachte Jason einen Augenblick nach. »Ich verstehe, was du meinst«, entgegnete er. »Komisch, da wäre ich früher nie allein drauf gekommen.«
    »So? Und jetzt?« freute sich Mary.
    »Ich glaube, immer noch nicht.«
    »Genau das ist das Geheimnis«, fuhr Mary fort. »Auf diese Weise kontrolliert Jupiter dich nämlich. Wenn du jemals aus diesem Teufelskreis ausbrechen und dein eigener Herr werden willst, mußt du dich ihr widersetzen, ihr sagen, sie könne sich ihre Kommandos an den Hut stecken; und das einzige, was dich nach unserer Vorstellung dazu bringen konnte, war … na ja, eben diese Sharon. Und es hat doch auch einigermaßen funktioniert, oder? Eigentlich ist es ja in die Hose gegangen«, gab Mary zu, »weil du’s herausgekriegt hast, bevor es soweit kommen konnte – vor der endgültigen Kraftprobe, meine ich –, aber der Erfolg ist der gleiche gewesen. Habe ich recht?«
    Jason überlegte. »Ja«, antwortete er langsam, »ich glaube, wahrscheinlich hast du recht. Aber« – da war wieder der kleine Lichtfleck; nicht drei Lichtflecken oder -pünktchen, sondern bloß einer – »irgendwas stimmt an der ganzen Geschichte nicht.«
    »Ach, wirklich?«
    Jason kratzte sich am Kopf. »Ja«, bestätigte er. »Ganz sicher. Ich bin nämlich nicht mein eigener Herr, nicht ein Stück. Ich hatte am Anfang doch recht. Ihr schubst mich genauso herum wie Jupiters Bande. Und außerdem« – Jason stellte sich kerzengerade hin, blickte dem Mädchen seiner Träume in die Augen und entdeckte dort nichts, was ihn interessiert hätte – »habe ich mit der ganzen Sache nichts zu tun. Was soll das Ganze überhaupt?«
    »Wie bitte?«
    »Ich habe gesagt, was soll das Ganze überhaupt, verdammt noch mal!« wiederholte Jason. »Du bist genausowenig Mary, wie du Sharon warst. Sharon hast du dir ausdrücklich ausgedacht, um mir auf die Nerven zu gehen, und Mary, damit sie mich … damit sie … na ja, egal, was. Wenn man’s ganz genau betrachtet, bist du nichts weiter als ein verdammt großer Adler. Und es tut mir furchtbar leid, aber meine Seele verkaufe ich nicht für irgendwas in einem Federkleid mit einer Flügelspannweite von einem Meter achtzig und kleinen, runden, gelben Augen. Meine aufrichtigste Entschuldigung, aber das Geschäft ist geplatzt.«
    »Geplatzt?«
    »Geplatzt«, bestätigte Jason. »Such dir einen anderen Helden, denn ich setze mich zur Ruhe. Kapiert?«
    »Aber Jason …«
    »Kommt mir nie wieder mit ›Jason‹!« brüllte der Held. »Von jetzt an sagt mir keiner mehr, was ich zu tun habe. Niemand!«
    Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück und legte die Hand auf den Schwertgriff. Auf einmal war er sich bewußt, daß er groß, stark und vor allem gemein genug war, um zu tun und zu lassen, was zum Teufel er wollte, und diese Erkenntnis war unglaublich angenehm und

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