Liebling der Götter
bestimmen. Bitte unterbrich mich, bevor mein Gerede am Schluß noch vollkommen zusammenhanglos wird, aber ich lehne es ab, Entscheidungen für andere zu treffen. Mein Vater macht so etwas, und dafür achte ich ihn nicht besonders. Ich halte es nicht für richtig zu entscheiden, wie das Leben anderer aussehen soll. Wenn ich persönlich an das Leipziger Allerlei mit Corned beef, nein, an den Mischmasch, an den Mist denke, den ich aus meinem eigenen Leben gemacht habe, kann ich wirklich nicht behaupten, mich in der Lage zu befinden, das Leben anderer Menschen zu gestalten. Übrigens, warum genau hängt das alles überhaupt von mir ab?«
»Darum.«
»Aha. Hätte ich mir denken können. Also, wenn ich mich zwischen dir und den Göttern entscheiden soll, dann entschließe ich mich unter Berücksichtigung aller meiner Erfahrungen in den vergangenen Tagen – was ich von dir mitbekommen habe und die verschiedenen Einsichten in die Art und Weise, wie die Götter mit den Dingen umgehen – sowie aufgrund der Tatsache, daß Jupiter mich immer rumkommandiert hat, ich von dir offenbar schon seit meiner Geburt künstlich beeinflußt worden bin und ich mich ständig dabei ertappe, daß ich das tue, was mir meine Mutter aufgetragen hat, für die Seite, die es mir ermöglicht, alle diese Leckereien so bald wie möglich zu verdrücken. Zufrieden?«
»Nein. Wie ich schon sagte, ist das keine Bestechung. Eher eine Art – wie heißt das Wort doch gleich? Folter? Ja, das ist es. Bevor du dich nicht entscheidest und zu einem gut begründeten Entschluß kommst, kriegst du nichts davon. Und jetzt denk weiter darüber nach.«
Jason machte ein finsteres Gesicht und stürzte sich mit der Geschwindigkeit einer Katze, die über ein kullerndes Wollknäuel herfällt, auf einen Topfkuchen, der prompt davonflitzte und in einem Kaninchenbau verschwand.
»Bist du Prometheus?« fragte Jason.
»Der bin ich«, antwortete Prometheus.
Jason blickte sich um; er hatte kein Ahnung, woher die Stimme kam. »Wo bist du?« fragte er. »Ich sehe dich nicht.«
»Das überrascht mich nicht.«
»Wieso?«
»Weil du nicht in die richtige Richtung guckst.«
Jason ließ die Augen um dreihundertsechzig Grad umherwandern. Nichts; na ja, eine Menge Sandwiches und Pasteten und Blätterteigtaschen und Kuchen – und, wie er bemerkte, eine Schwarzwälder Kirschtorte sowie ein paar Käsestangen, die er vorher übersehen hatte. Für Käsestangen hatte er eine Schwäche. Nicht, daß er ein Feind von Cocktailoliven, Kartoffelchips, Cashewnüssen, mit kleinen Fischstückchen garnierten Crackern und Mini-Frankfurtern gewesen wäre – im Moment hätte er sogar das für die Vögel liegengelassene alte Brot verschlingen können. Ja, jede Menge zu essen. Aber keine Titanen, welcher Art auch immer.
»Warum ich?« fragte Jason. »Nur ein ›Darum‹ als Antwort kann ich nicht als Erklärung gelten lassen.«
»Warum nicht?«
»Weil es unsinnig und gönnerhaft und …«
»Nein«, unterbrach ihn Prometheus. »›Warum nicht‹ ist die Antwort auf deine Frage. Also, wenn du nichts dagegen hättest, dich zu entscheiden …«
»Nein.«
»Die Blätterteigtaschen werden kalt.«
»Ich habe keinen Hunger.«
»Sieh mal her …«
»Nein.« Jason verschränkte die Arme und vernahm plötzlich einen aus Schmerz und Schrecken gemischten Schrei. Er blickte nach unten und entdeckte in seiner Hemdtasche Prometheus, der von einem riesigen Unterarm gegen die wie eine Mauer in die Höhe ragende Brust gequetscht wurde. Schnell nahm Jason den Arm weg und entschuldigte sich. »Was, in aller Welt, machst du da drinnen?« fragte er.
»Verdammt noch mal, Jason!« fluchte der winzige Riese. »Warum mußt du eigentlich ständig Fragen stellen?«
Seelenruhig holte Jason Prometheus aus der Tasche und setzte ihn sich auf die Handfläche. »Darum«, antwortete er. »Also, du kannst mir jetzt entweder erzählen, was los ist, und zwar diesmal ordentlich, oder zwischen zwei Brotscheiben gelegt und gegessen werden. Du hast die Wahl.«
»Wo willst du denn zwei Scheiben Brot herbekommen?«
»Zur Not kann ich das auch ohne Brot«, drohte Jason.
»Das wäre Kannibalismus.«
»Höchstwahrscheinlich.«
»Ich schmecke grauenhaft.«
»Woher willst du das wissen?«
»Ich kann dir die Vorgänge nicht erklären, solange du dich nicht entschieden hast«, sagte Prometheus wütend.
»Und ich kann mich nicht entscheiden, solange du es mir nicht erklärt hast!« schrie Jason zurück.
»Das darf doch wohl nicht
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