Liebling der Götter
Zahnarzthelferinnen gewesen –, die Silbergefäße von unbekanntem Zweck trugen. Das Ende des Zugs bildete ein langer weißhaariger Mann mit einem Bart wie eine silberne Fußmatte. Er war in ein Gewand gehüllt, das mit den ausgefallensten Verzierungen übersät war, die Jason je gesehen hatte; jene Art von Bekleidung also, die von Ludwig dem Vierzehnten gewählt worden wäre, wenn er das Geld dazu gehabt hätte.
In der Mitte einer Art Podium blieb die Prozession stehen, und die maskierten Männer setzten krachend die Beile ab. Der schrill gekleidete Mann trat vor, stand einen Moment lang da und begann zu sprechen.
»Euch allen einen frommen Abend, liebe Andächtige und Frauen! Ich bin der gottesfürchtige George Maniakis und heute abend euer Gastgeber, wenn wir alle gemeinsam ›Gott ist mein Zeuge‹ spielen werden. Nun, bevor wir beginnen, möchte ich euch allen von einem geistig höchst erhebenden Erlebnis berichten, das ich heute abend auf dem Weg zum Tempel gehabt habe …«
Nervös blickte sich Jason um. Das Gebäude war fast ebenso reich geschmückt wie das Kleid des gottesfürchtigen George; es besaß Strebepfeiler, Architrave, Lettner, Pilaster und irgend etwas, das Jason nicht als Narthex erkannte, doch gab es keinerlei Türen. Schade.
»›Dein Wille geschehe?‹ fragte ich, also, da hätte schon eine Schöpfkelle gereicht, um mich zu Boden zu strecken, deshalb drehte ich mich um und sagte …« Der gottesfürchtige George wurde im Verlauf seiner Nummer zunehmend feierlicher, und in der Menge befiel den einen oder anderen ein leichtes Zittern. Jeden Augenblick, spürte Jason, würde irgendein Idiot ›Halleluja!‹ schreien. Er bemühte sich nach besten Kräften, die restliche Geschichte zu überhören, die irgend etwas mit ewiger Strafe und Seelenwanderung zu tun hatte. Schließlich ging sie zu Ende, und es trat eine tiefe, ehrfürchtige Stille ein.
»Und nun«, verkündete der gottesfürchtige George, »bleibt mir nur noch, die ersten Kandidaten des heutigen Abends zu begrüßen, die gemeinsam mit mir ›Gott ist mein Zeuge‹ spielen werden: Mister und Missis Constans! Viele sind geladen, aber für heute abend ausgewählt worden sind Sie!«
Aus der zweiten Reihe in der Menge ertönte ein spitzer Schrei. Kein Schrei, wie Sie vielleicht meinen, sondern ein echter Schrei. Erst geschah offenbar nichts; dann sprangen die beiden Männer mit den Beilen nach vorn und kehrten kurz darauf mit einem älteren Paar zurück, dessen Gegenwehr zwar energisch, aber vollkommen zwecklos war. Schließlich ließen auch die letzten Regungen des Widerstands nach, und das Paar stand dem gottesfürchtigen George mit der unbeschwerten Ausgelassenheit von Kaninchen gegenüber, die vom Scheinwerferkegel eines pfeilschnell heranbrausenden Lastwagens erfaßt worden sind.
»Und Ihr Name lautet?«
»Mhm …«
»Könnten Sie etwas lauter sprechen, Mister Constans? Die Götter hören Sie zwar, aber wir nicht.«
»Flavius Constans«, wimmerte der Mann.
»Und Sie sind Scharfrichter im Ruhestand?« Mr. Constans nickte schwach. »Das muß ja ein furchtbarer Beruf gewesen sein, Flavius. Haben Sie sich nie gefragt, ob die Menschen, die Sie hingerichtet haben, nicht unschuldig gewesen sein könnten?«
Mr. Constans schniefte. Wie man unschwer erkannte, war ihm der Gedanke schon ein- oder zweimal gekommen. Der gottesfürchtige George wandte sich nun an Mrs. Constans, die sich mit leichter Verspätung bemühte, nie geboren worden zu sein, und warf ihr ein Lächeln zu, vor dem jede Farbe erblaßt wäre.
»Und wie steht es mit Ihnen … Domitilla, nicht wahr?« Mrs. Constans stieß einen ganz kurzen, sehr schrillen Laut aus – wie eine Feldmaus in einem Mixer. »Was halten denn Sie davon, Domitilla? Immerhin haben Sie die Jahre hindurch das Bett mit einem Mann geteilt, der sich seinen Lebensunterhalt durch das Töten von Menschen verdient hat. Haben Sie sich das nicht manchmal gefragt, Domitilla? Wie dem auch sei, liebe Andächtige und Frauen, wie wär’s mit einem anständigen, inbrünstigen Gebet für die Seelen unserer beiden Kandidaten, die hier heute abend ›Gott ist mein Zeuge‹ spielen werden?«
In der Menge erhob sich ein wirres Summen wie von vielen verärgerten Bienen. Mr. und Mrs. Constans versuchten, sich aneinanderzuklammern, aber die maskierten Männer trennten sie mit den Stielen der Beile. Von einem Kasten aus Zedernholz, den ihm eine der ernsten jungen Damen präsentierte, nahm der gottesfürchtige George einen
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